Beim NATO-Gipfel sind die USA und Deutschland am Mittwoch frontal aneinandergeraten. US-Präsident Donald Trump griff die Bundesregierung wegen zu niedriger Verteidigungsausgaben und milliardenschwerer Gasimporte aus Russland über die Pipeline Nord Stream 2 scharf an - was sich Kanzlerin Angela Merkel strikt verbat.

Die CDU-Chefin unterstrich in Brüssel die großen Anstrengungen Deutschlands für die NATO und die USA. "Wir stellen den größten Teil unserer militärischen Fähigkeiten in den Dienst der NATO", sagte Merkel vor einem vor den Nachmittag geplanten Einzelgespräch mit Trump. "Und wir sind bis heute sehr stark in Afghanistan engagiert. Und damit verteidigen wir auch die Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika."

Trump hatte im Streit über die Erhöhung der Verteidigungsausgaben gezielt Deutschland ins Visier genommen und seine Kritik mit dem Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 gekoppelt. Die USA beschützten Deutschland, doch die Bundesrepublik mache einen milliardenschweren Erdgasdeal mit Russland, sagte Trump und fügte hinzu: "Deutschland ist total von Russland kontrolliert." Das Land sei ein "Gefangener" Russlands. Andere Bündnis-Länder wie Polen seien gegen Nord Stream 2, versuchte Trump offenbar einen Keil in die Allianz zu treiben.

Trotz Trumps scharfer Attacken beschrieb er die Beziehungen zu Deutschland als hervorragend. Er habe ein "sehr, sehr gutes Verhältnis" zu Kanzlerin Merkel, sagte Trump  nach einem Treffen mit Merkel am Rande des Gipfels in Brüssel. Die Kanzlerin sagte nach Angaben von US-Journalisten, Deutschland und die USA seien gute Partner. "Wir haben ein großartiges Treffen, wir sprechen über Militärausgaben und Handel", sagte Trump.

"In Freiheit vereint"

Merkel reagierte auf die zuvor geäußerten Angriffe scharf. Bei ihrer Ankunft beim Gipfel betonte sie mit Blick auf die frühere DDR, sie habe selbst erlebt, dass ein Teil Deutschlands von der Sowjetunion kontrolliert worden sei. "Ich bin sehr froh, dass wir heute in Freiheit vereint sind als die Bundesrepublik Deutschland und dass wir deshalb auch sagen können, dass wir unsere eigenständige Politik machen können und eigenständige Entscheidungen fällen können", sagte die Kanzlerin.

Damit eskaliert der seit Monaten währende Streit zwischen Trump und Merkel, ob Deutschland genug für Verteidigung ausgibt. Trump fordert, dass alle NATO-Partner spätestens von 2024 an jährlich mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Deutschland kommt derzeit nur auf 1,24 Prozent und verspricht auch für 2024 nur 1,5 Prozent.

Trump sagte bei einem Gespräch mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ein reiches Land wie Deutschland könnte sofort auf die zwei Prozent kommen, statt nur Mini-Erhöhungen in Aussicht zu stellen. Deutschland interpretiert das auf dem NATO-Gipfel in Wales 2014 vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel allerdings anders: Im Beschluss sei nur die Rede davon, sich auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen.

Merkel: Deutschland erhöht Verteidigungsausgaben

Genau darauf verwies Merkel in Brüssel erneut. Deutschland sei schon dabei, die Verteidigungsausgaben deutlich zu erhöhen. "Wir fühlen uns also den Beschlüssen von Wales, uns in Richtung zwei Prozent zu entwickeln bei den Verteidigungsausgaben, verpflichtet", sagte die Kanzlerin. Sie gehe "sehr fröhlich und auch durchaus bewusst, dass wir ein wichtiger Teil der NATO sind, in diese Diskussion". "Deutschland verdankt der NATO sehr viel", sagte Merkel. "Dass die Wiedervereinigung stattgefunden hat, hat auch sehr viel mit der NATO zu tun." Heute leiste Deutschland aber auch "viel für die NATO". Es tue dies "auch aus Überzeugung".

Allerdings ist das Verteidigungsbündnis wegen Trumps fortwährender Kritik enorm unter Druck. Auch Generalsekretär Stoltenberg sprach von offenen Differenzen - gab sich aber trotzdem zuversichtlich. "Trotz dieser Differenzen erwarte ich, dass wir alle uns bei fundamentalen Fragen einig werden", sagte der Generalsekretär. Er betonte, Nord Stream 2 sei kein Thema für die NATO. "Die Entscheidung liegt nicht bei der NATO, das ist eine nationale Entscheidung", sagte er.

Scharfe Kritik an Erdgasprojekt

Trump kritisiert das deutsch-russische Erdgasprojekt in der Ostsee seit Monaten scharf. Die rund 1200 Kilometer lange Pipeline Nord Stream 2 soll russisches Erdgas über die Ostsee nach Mittel- und Westeuropa transportieren. Die USA sehen Europa indes als wichtigen Markt für ihr eigenes Fracking-Gas. Trump argumentierte, Deutschland zahle Milliarden an Russland und mache Moskau damit stark, lasse sich dann aber von den USA und der NATO gegen Russland beschützen.

Trumps Aussagen über Deutschland sind bemerkenswert, weil er sich selbst Vorwürfen ausgesetzt sieht, einen zu russlandfreundlichen Kurs zu verfolgen. Von scharfer Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin hat er in den vergangenen Monaten abgesehen. Am kommenden Montag will sich Trump in der finnischen Hauptstadt Helsinki mit Putin treffen. Es gibt Befürchtungen, dass er dem Kreml-Chef dabei große Zugeständnisse machen könnte.

Der zweitägige NATO-Gipfel mit den Staats- und Regierungschefs aller 29 Bündnisstaaten begann offiziell zu Mittag mit einer Zeremonie im NATO-Hauptquartier. Wichtiges Thema des zweitägigen Spitzentreffens sind die Bemühungen des Militärbündnisses, die Abschreckung und Verteidigung gegen Russland weiter zu stärken. Diese Themen dürften aber vom Streit um die Verteidigungsausgaben überschattet werden.

"Haben uns an Trump-Kritik gewöhnt"

Deutschlands Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen reagierte am Mittwoch gelassen auf Trumps Kritik. "Wir haben uns jetzt fast schon daran gewöhnt", sagte sie. "Wir kommen damit zurecht." Sie verneinte die Frage, ob sie sich von Trump unfair als Zielscheibe unter den Bündnispartnern herausgepickt sehe.

Hochrangige Vertreter in Brüssel und Berlin haben den früheren Geschäftsmann und Immobilienmagnat Trump schon länger im Verdacht, auch energiepolitische Interessen zu verfolgen. Mancher in der EU vermutet, dass dies auch ein Grund für den Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran ist. Denn der verfügt über die größten Gasreserven der Welt.

Traum "Flüssiggas-Quote"

Andererseits sind die USA in den vergangenen Jahren zu einem großen Produzenten von Schiefergas aufgestiegen und suchen weltweit Absatzmärkte. Es könnte als Flüssiggas nach Europa gebracht werden, ist wegen der Transportkosten aber nicht wettbewerbsfähig. Dies liegt auch daran, dass in Europa Terminals fehlen, um das Gas anzulanden.

"Die Amerikaner träumen von einer Flüssiggas-Quote", hieß es schon im Mai aus deutschen Regierungskreisen. Auch deshalb sei eine US-Delegation in Europa unterwegs, "um Stimmung zu machen gegen Nord Stream 2". Das hat der US-Präsident beim NATO-Gipfel nun auch persönlich in die Hand genommen.

Bereits beim ersten NATO-Gipfel mit Trump im Mai 2017 war es zu einem beispiellosen Eklat gekommen. Der US-Präsident hatte damals eine Rede zur Vorstellung eines Denkmals dazu genutzt, um aggressiv Kritik an den Bündnispartnern zu üben.