Die seit Tagen angekündigte Bodenoffensive der Türkei in der nordsyrischen Grenzregion hat nach den Worten von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan "de facto" begonnen. Der Einsatz am Boden gegen die von Kurden kontrollierte Stadt Afrin sei gestartet, danach werde Manbij angegriffen, sagte Erdogan.

Die türkische Luftwaffe flog Angriffe auf mutmaßliche Stellungen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG. Erdogan äußerte sich in einer in der westtürkischen Stadt Kütahya gehaltenen Rede, die im Fernsehen übertragen wurde. Die Türkei werde "Schritt für Schritt" einen "Terror-Korridor" zerstören, den die YPG errichtet habe. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, protürkische Milizionäre der Freien Syrischen Armee (FSA) rückten in der Region Afrin vor.

Der türkische Regierungschef Binal Yildirim sagte in einer ebenfalls im Fernsehen übertragenen Rede, die Armee habe eine Luftoffensive zur "Zerstörung" der YPG begonnen. Ein AFP-Reporter auf der türkischen Seite der Grenze sah, wie zwei türkische Kampfflugzeuge Ziele auf syrischem Territorium angriffen und Rauchwolken aufstiegen.

Die türkische Armee bestätigte eine Boden- und Luftoffensive. Die "Operation Olivenzweig" habe um 15.00 Uhr (MEZ) begonnen und richte sich gegen die YPG und auch gegen die Jihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS), erklärte das Militär.

Afrin und das hundert Kilometer weiter östlich am Euphrat gelegene Manbij gehören zur halbautonomen Kurdenregion im Nordwesten Syriens. Ankara will einen Zusammenschluss der Kurdengebiete westlich und östlich des Flusses und damit die Entstehung einer eigenständigen Kurdenregion an der Südflanke der Türkei verhindern. Erdogan warf der US-Regierung vor, sich nicht an ihr Versprechen zu halten, die YPG von Manbij fernzuhalten.

Bereits vorher Angriffe

Türkische Truppen hatten diese Woche bereits mehrfach Granaten auf mutmaßliche YPG-Stellungen abgefeuert. Zuvor hatte die Armee an der Grenze zu Syrien Panzer und Artillerie zusammengezogen.

Die US-geführte Allianz zum Kampf gegen den IS hatte am vergangenen Sonntag den Aufbau einer 30.000 Mann starken Truppe im syrischen Grenzgebiet zur Türkei angekündigt. Diese soll die Grenzen im Norden und Osten Syriens sichern, um ein Wiedererstarken der IS-Miliz zu verhindern.

Die Hälfte der Kämpfer soll von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kommen, die von den YPG beherrscht werden. Für die US-Regierung ist die YPG-Miliz ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den IS. Washingtons NATO-Partner Türkei betrachtet die YPG dagegen als syrischen Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

Die neue türkische Offensive in der Region Afrin ist nicht ohne Risiko. Russland ist dort mit Militärbeobachtern präsent und unterhält gute Beziehungen zu den Volksverteidigungseinheiten. Analysten zufolge bedarf eine umfassende Boden- und Luftoffensive der Zustimmung Moskaus. Der türkische Generalstabschef Hulusi Akar und der Geheimdienstchef Hakan Fidan hielten sich am Donnerstag in Moskau auf. Sie erörterten dort mit ihren russischen Kollegen Sicherheitsfragen und die Lage in Syrien, wie die türkische Armee mitteilte.

Russland besorgt

Russland hat sich besorgt über die Militäroffensive in der syrischen Region Afrin geäußert. Das Außenministerium rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Russland halte an seiner Position fest, die syrische Krise durch die Bewahrung der territorialen Integrität und die Respektierung der Souveränität Syriens zu lösen.Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Samstag den Beginn der Offensive gegen die Kurdenmilizen in Syrien verkündet. Damit eröffnet die Türkei eine neue Front im syrischen Bürgerkrieg, indem sie sich direkt gegen mit den USA verbündete kurdische Milizen stellt. Die Türkei und die USA gehören beide der NATO an.

Syrische Armee im Vormarsch

Die syrische Armee und ihre Verbündeten haben unterdessen eine strategisch wichtige Luftwaffenbasis im Nordwesten des Landes zurückerobert. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte vom Samstag kontrolliert die von russischen Einheiten aus der Luft unterstützte Armee den Stützpunkt Abu Dhuhur in der Provinz Idlib fast vollständig.Nur im westlichen Teil der Luftwaffenbasis dauerten demnach die Gefechte noch an. Zuvor hatte intensiver Beschuss den syrischen Ableger von Al-Kaida und verbündete Rebellen zum Rückzug gezwungen, so die Beobachter. Die Extremisten hatten die Basis im September 2015 erobert. Abu Dhuhur ist der zweitgrößte Luftwaffenstützpunkt in Nordsyrien.

Idlib ist die letzte Provinz des Bürgerkriegslandes, die noch fast vollständig unter Kontrolle von Rebellen steht. Sie wird von extremistischen Gruppen dominiert. Regierungstruppen konnten dort aber im Jänner bei einer Offensive wichtige Geländegewinne machen. In der Provinz an der Grenze zur Türkei leben nach UN-Angaben mehr als zwei Millionen Menschen, darunter zahlreiche Vertriebene aus anderen Gebieten des Landes.