Pablo Iglesias streckt den linken Arm in die Höhe, ballt seine Hand zur Faust: "Sobald ich Präsident bin, werde ich gegen Europas Neoliberalismus ankämpfen und Spanien von Madrid aus regieren und nicht mehr von Berlin aus regieren lassen." "Presidente, Presidente", feiert ihn die Masse.

Tausende versammelten sich am Freitagabend zum Abschluss der spanischen Wahlkampagne vor dem Madrider Kulturzentrum Matadero, um Spaniens linkes Protestbündnis Unidos Podemos (Zusammen können wir) zu unterstützten. Animiert durch sämtliche Wahlumfragen rechnete Iglesias lange damit, am Sonntag die Sozialisten (PSOE) von Oppositionsführer Pedro Sanchez als Alternative zu den Konservativen abzulösen.

Seit dem Wahlbündnis mit der kommunistischen Vereinten Linken (IU) prognostizieren alle Umfragen, dass die erst vor zwei Jahren gegründete linke Protestpartei hinter den Konservativen von Ministerpräsident Mariano Rajoy (PP) zweitstärkste Partei im Parlament wird. Doch am Freitagabend hielt sich die Euphorie in Grenzen, zeitweise wirkte Iglesias sehr angespannt - und der Grund ist der Brexit.

Ministerpräsident Rajoy wie sein sozialistischer Herausforderer Sanchez nutzten die Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu verlassen, um zum Abschluss der Wahlkampagne gegen Podemos zu wettern. Mit dem Austritt der Briten kommen unsichere Zeiten auf Europa und Spanien zu, erklärte Spaniens konservativer Premier Rajoy auf dem Madrider Kolumbus-Platz. Wenn Spanien den Euro behalten, in der EU bleiben und eine Zukunft haben soll, gäbe es nur eine Alternative, die Konservativen. "Jetzt ist nicht der Moment für Experimente und Leute ohne Regierungserfahrung. Spanien braucht eine verantwortungsvolle Regierung, die weiß, was zu machen ist", stellte Rajoy in Anlehnung an Podemos klar. Unterdessen zeigte die PP am Freitag auf ihrer Homepage Videos, in denen sich Podemos-Chef Iglesias für den Austritt Spaniens aus der Euro-Gruppe stark machte.

Pedro Sanchez, der seine Kampagne in der sozialistischen Hochburg Andalusien abschloss, zielte in Sevilla in die selbe Richtung. "Der Brexit ist eine traurige Nachricht für Europa und Großbritannien. Wer freut sich? Populisten, rechts wie links. Von Marine Le Pen und Donald Trump bis hin zu Teresa Rodriguez", verwies Sanchez auf Andalusiens Podemos-Chefin Rodriguez. Katastrophen wie der Brexit passieren, wenn man Referenden über den politischen Konsens stellt, meinte der sozialistische Spitzenkandidat und ging zum katalanischen Unabhängigkeitsreferendum über, für das sich außer den separatistischen Regionalparteien auch Podemos einsetzt.

"Die Angst vieler Spanier, der Brexit könnte negative wirtschaftliche und politische Folgen für Europa und Spanien haben, könnte die Wahlen am Sonntag durchaus beeinflussen und viele Wähler erneut in die Arme der großen Volksparteien treiben", meint der spanische Politologe Jordi Rodriguez Virgili im APA-Gespräch.

Korruptionsaffären und Misswirtschaft

Unzählige Korruptionsaffären und Misswirtschaft schadeten dem Image der beiden großen Volksparteien. Millionen Spanier gab bei den vergangenen Parlamentswahlen am 20. Dezember den neuen Protestparteien, den liberalen Ciudadanos und der linken Podemos, ihre Stimme. Das führte zum Ende des traditionellen Zwei-Parteien-Systems. Die neuen Machtverhältnisse im Parlament sowie die ideologischen Gegensätze verhinderten jedoch eine notwendig gewordene Regierungskoalition. Die Koalitionsgespräche scheiterten, König Felipe VI. rief Ende April Neuwahlen aus.

Wahlfavorit Rajoy

Nach Umfragen dürfte sich an den unklaren Mehrheitsverhältnissen aber wenig ändern. Wahlfavorit sind erneut die Konservativen von Premier Rajoy. Doch bleibt abzuwarten, wie der neuste Abhörskandal um Innenminister Jorge Fernandez Diaz eventuell noch die Wahlen beeinflussen könnte. Nur vier Tage vor den Wahlen wurde bekannt, dass der konservative Innenminister Wege suchte, mit Hilfe der Polizei und der katalanischen Anti-Korruptionsbehörde Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu diskreditieren.

Sanchez, Iglesias und vor allem der katalanische Parteichef der liberalen Ciudadanos, Albert Rivera, forderten Fernandez Dias sofortigen Rücktritt und nutzten den Skandal, um zu kritisieren, wie die PP in den vergangenen Jahren ihre Macht missbrauchte, um Vorteile für ihre Partei zu erzielen.

Wie die Wahlen ausgehen werden, bleibt abzuwarten: Vieles wird davon abhängen, ob Sozialisten oder Podemos zweitstärkste Formation werden. Fest steht nur: Keine Partei wird eine ausreichende Mehrheit zum Regieren bekommen und die Koalitionsgespräche versprechen hart zu werden. Zu groß sind die ideologischen Gegensätze, zu verbohrt die Egos der politischen Führer.

Rechtspopulisten spielen keine Rolle

Überall in Europa sind rechtspopulistische Parteien im Aufwind. In Deutschland feiert die AfD einen Siegeszug, in Frankreich der Front National. Auch in den Niederlanden, Ungarn und Italien gewinnen Rechtspopulisten vor allem unter dem Eindruck der Wirtschafts- und Flüchtlingskrise immer größeren Einfluss. In Österreich fehlten dem Freiheitlichen Norbert Hofer (FPÖ) nur 31.000 Stimmen, um Bundespräsident zu werden.

Und in Spanien, einem der am härtesten von der Wirtschaftskrise gebeutelten EU-Länder, wo am Sonntag Parlamentswahlen stattfinden? Fehlanzeige! Rechtspopulistische Kräfte spielen in Spanien überraschender Weise keine Rolle. Zwar nehmen kleine, rechtspopulistische Parteien immer wieder an Wahlen teil, erhalten aber kaum Stimmen. Flüchtlingsprobleme sind gering - die Unzufriedenheit über die Wirtschaftsprobleme werden von der neuen Linken und den Liberalen abgefangen.