Zehntausende Menschen fliehen aus Teheran, Revolutionsführer Ali Khamenei muss sich in Schutzräumen verstecken, weil Israel nach Belieben militärische und wirtschaftliche Ziele bombardieren kann und die USA bereiten sich begleitet von lauten Drohungen des Präsidenten für eine allfällige Beteiligung an den Angriffen vor: Nach fast einer Woche Krieg ist ungewiss, ob die Islamische Republik den Konflikt überleben wird. Gegner der Mullahs im In- und Ausland träumen daher bereits vom Regimewechsel und einer pro-westlichen Demokratie in Teheran. Für den Fall eines Sturzes der Theokratie ist jedoch eine Militärdiktatur deutlich wahrscheinlicher.
Appell an Patriotismus
Wie bei den Massendemonstrationen gegen das Regime in den vergangenen Jahren drosselt die iranische Regierung das Internet und appelliert außerdem an den Patriotismus von Millionen Iranern. In der Bevölkerung ist die Erinnerung an den Putsch des US-Geheimdienstes CIA gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammad Mossadegh im Jahr 1953 noch wach. Viele Iraner sehen Israels Luftschläge nicht als willkommene Bestrafung für ein unbeliebtes Regime, sondern als Angriff auf ihr Land. Prominente Oppositionelle wie Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi wollen den Durchhalte-Appellen dennoch nicht folgen. Sie fordern zwar ein Ende der israelischen Angriffe, aber auch einen Rücktritt der Regierung.
US-Präsident Donald Trump und Israels Premier Benjamin Netanjahu denken hingegen laut über einen möglichen Mordanschlag auf Khamenei nach. Die USA und Israel wüssten, wo sich der 86-Jährige versteckt hält, wollten ihn aber zumindest vorläufig nicht umbringen, sagte Trump. Sollte der Revolutionsführer getötet werden, wäre das „keine Eskalation des Konflikts, sondern das Ende des Konflikts“, erklärte Netanjahu.
Trump, Netanjahu und Pahlavi könnten sich zu früh freuen
Auch aus Sicht von Reza Pahlavi, dem Sohn des letzten Schahs, sind die Tage der Islamischen Republik gezählt. Er hoffe, bald aus dem US-Exil in den Iran heimkehren zu können, schrieb Pahlavi, dessen Vater 1979 von den Islamisten gestürzt wurde, auf X.
Trump, Netanjahu und Pahlavi könnten sich zu früh freuen. Noch gibt es keinen Volksaufstand gegen die Mullahs. Für die Iraner geht es ums nackte Überleben, nicht um Politik: Mehr als 200 Iraner sind von israelischen Luftangriffen getötet worden – niemand demonstriert im Bombenhagel. Auch gibt es keine ausländische Macht, die Bodentruppen in den Iran schicken will oder kann, um das Regime zu stürzen und eine neue Regierung ins Amt zu hieven. Luftangriffe allein dürften in einem Land mit 90 Millionen Menschen und einer Fläche von Deutschland, Frankreich und Spanien zusammen nicht ausreichen. Wenn das Regime den Krieg überlebt, könnte es sich weiter radikalisieren.
Mordanschlag würde Lage ändern
Ein Mordanschlag auf Khamenei würde die Lage ändern, sagt der Iran-Experte Arman Mahmoudian von der Universität Süd-Florida. In dem Fall könnte das Regime in konkurrierende Lager zerfallen und sich auflösen, sagte Mahmoudian zur Kleinen Zeitung. Aus Sicht von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron würde dann allerdings Chaos drohen. Er erinnerte an den Bürgerkrieg im Irak nach der US-Invasion von 2003, der hunderttausende Menschen das Leben kostete. Libyen hat seit dem Sturz des Diktators Muammar Gaddafi im Jahr 2011 keine landesweite Regierung mehr.
Selbst wenn die Anarchie vermieden werden könnte, wäre ein Kollaps der Islamischen Republik nicht gleichbedeutend mit dem Beginn von Demokratie. Iran-Experte Mahmoudian hält eine Machtübernahme der Revolutionsgarde oder anderer Gruppen des Militärs für das wahrscheinlichste Szenario. Die Probleme des Westens mit dem Iran könnten dieselben bleiben oder noch wachsen: Ein neues Regime könnte aus den Angriffen den Schluss ziehen, dass zu einer wirksamen Abschreckung künftiger Aggressionen eine Atombombe unverzichtbar ist.