Der Ständige Vertreter Russlands bei den internationalen Organisationen in Wien, Michail Uljanow, hat mit einer später wieder gelöschten Twitter-Meldung für Empörung gesorgt. Uljanow hatte in der Nacht auf Samstag einen Tweet des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu US-Waffenlieferungen mit "Keine Gnade für die ukrainische Bevölkerung!" kommentiert. Vertreter der Ukraine interpretierten dies als Aufforderung zum Völkermord. Uljanow selbst sah sich missverstanden.

"Wir sind empört über die menschenverachtenden Aussagen des russischen Ständigen Vertreters und über seine Versuche zu relativieren, was nicht zu relativieren ist", kommentierte am Samstagnachmittag eine Sprecherin des österreichischen Außenministeriums in einer schriftlichen Stellungnahme. Das Ministerium stehe zwar für freie Meinungsäußerung, sei aber auch frei darin, "entschieden gegen solch verhetzende Äußerungen einzutreten", schrieb die Sprecherin und kündigte an, dass Uljanow für Sonntag ins Außenministerium zitiert werde.

Reaktion aus der Ukraine

"Der russische Botschafter in Österreich Uljanow spricht von der Notwendigkeit einer 'Endlösung der ukrainischen Frage' und ruft zum Völkermord auf", hatte bereits am Samstagvormittag Selenskyj-Berater Michajlo Podoljak auf Twitter reagiert. Er beklagte gleichzeitig, dass in Europa Stimmen wie "Nicht alle Russen sind Putin" oder "Vielleicht sollten wir Nord Stream 2 aktivieren" laut würden. Es sei Zeit zu verstehen, dass Russland eine faschistische Machtstruktur mit Millionen Menschen sei, schrieb Podoljak.

"Diese Völkermordsprache darf nicht toleriert werden", schrieb seinerseits der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleh Nikolenko, am Samstagnachmittag auf Twitter. Die gesamte diplomatische Community in Wien müsse Uljanow boykottieren und Österreich müsse ihn als Gastland zur unerwünschten Person erklären, forderte er. Bereits zuvor hatte der ukrainische Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sowie Bundespräsident Alexander Van der Bellen ebenso auf Twitter aufgefordert, den russischen Diplomaten "sofort zu deportieren".

Diplomat fühlte sich missverstanden

Uljanow, der seinen in englischer Sprache verfassten Tweet bereits gelöscht hatte, fühlte sich am Samstag missverstanden. Er trete "natürlich nicht" für einen Völkermord an den Ukrainern ein, erklärte er in einem Telefonat mit der APA. "Wenn Sie lesen, was ich in den letzten Jahren auf Twitter schreibe, werden sie nichts Verächtliches in Bezug auf das ukrainische Volk finden", sagte der Diplomat. Vielleicht hätte er jedoch in seiner Publikation anstelle eines Rufzeichens besser ein Fragezeichen schreiben sollen, gab er sich selbstkritisch. "Ich habe aber auf die Mitteilung von Selenskyj emotional reagiert – wieder nur Waffen, keine Diplomatie", erläuterte er.

Der zuletzt vor allem auch als russischer Verhandler bei den Wiener Atomgesprächen mit dem Iran tätige Uljanow ist nicht der erste russische Diplomat in Wien, dessen Aktivitäten in sozialen Netzwerken für Diskussionen sorgen. Auch der in Wien für Abrüstungsverhandlungen zuständige Konstantin Gawrilow brachte sich Mitte August mit Twitter eine parlamentarische Anfrage der NEOS bei Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) ein. Der hochrangige russische Diplomat hatte zuvor eine Twitter-Meldung geteilt, in der ein selbsterklärter Stalinist die Wiedereinführung eines stalinistischen Staatsterrors in Russland forderte. Gawrilows persönliche Einstellung zu dieser Forderung war dabei jedoch unklar geblieben.