Heute reist EU-Chefverhandler Michel Barnier zur achten Verhandlungsrunde dieses Sommers nach London und die Vorzeichen könnten kaum düsterer sein. Schon bisher hatte es bei den Gesprächen zwischen der EU und Großbritannien über die künftigen Beziehungen nach Ablauf der Brexit-Übergangsfrist so gut wie keine Fortschritte gegeben, was vor allem immer wieder neuen Forderungen der Briten angelastet wurde. Nun brüskiert Boris Johnson die EU-Länder mit gleich zwei neuen Vorstößen: Laut mehreren Medienberichten will der Premier morgen Gesetze verabschieden, die Teile des Brexit-Abkommens über Staatshilfen und Grenzregelungen mit Irland außer Kraft setzen – und damit das Gegenteil dessen wären, was Johnson selbst mit der EU ausgehandelt hat und im Unterhaus hat absegnen lassen.

Das könnte unmittelbar zum Abbruch der Verhandlungen und damit zum „No Deal“ führen, den alle eigentlich vermeiden wollten. Doch Johnson setzte noch eins drauf: Ausgerechnet er, dem die extremen Verzögerungen bei den Verhandlungen angelastet werden, setzt nun der EU ein Ultimatum. Sollte es in den nächsten 38 Tagen, konkret bis 15. Oktober, nicht zu einer Einigung kommen, werde es kein Abkommen geben, drohte er.

In Brüssel reagierte man konsterniert, war es doch Michel Barnier, der ständig auf die knappe Zeit hingewiesen hatte. Barnier zeigte sich irritiert. „Alles, was unterschrieben wurde, muss auch respektiert werden“, erinnerte er und ergänzte, er sei besorgt, was das „Rosinenpicken“ der Briten angehe. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verwies darauf, dass das von beiden Seiten unterzeichnete Austrittsabkommen unabdingbare Voraussetzung für die künftigen Beziehungen sei. Gerade das nun gefährdete Irland-Protokoll sei „essenziell, um Frieden und Stabilität für die Insel und die Integrität des EU-Binnenmarkts zu sichern“.

Doch eine Grenze in Irland?

Bleibt es beim Gesetzestext, will der britische Regierungschef auf der irischen Insel im Gegensatz zu den Vereinbarungen in wichtigen Bereichen britisches Recht und nicht EU-Vorgaben durchsetzen. Auch ein Passus über Zölle auf Produkte, die nach Nordirland (und damit ins Vereinte Königreich) eingeführt werden, könnte das Irland-Protokoll sprengen. Denn das ist eine der zentralen Fragen: Gibt es keinen Kompromiss, müsste zwischen der Republik Irland und Nordirland wieder eine abgeriegelte Grenze aufgezogen werden – was für den hart erkämpften Frieden auf der irischen Insel ein schwerer Rückschlag wäre und den Bewohnern kaum zumutbar erscheint.

In einem Gespräch, das vom Dubliner Institute of International and European Affairs organisiert wurde, ging Michel Barnier dieser Tage auf die speziellen Herausforderungen der Verhandlungen ein. Das endgültige Austrittsdatum – 31. Dezember 2020 – sei von Großbritannien selbst bestimmt worden, das Angebot der Europäischen Union, die Übergangszeit für den gedeihlichen Abschluss der Verhandlungen um zwei Jahre zu verlängern, von Boris Johnson ausgeschlagen worden. Barnier: „Für Irland geht es bei den Verhandlungen nicht nur um Wirtschaft und Handel, es geht auch um Frieden und Stabilität.“

Und dann listete Barnier auf, wo Großbritannien die Stolpersteine errichtet: Es gibt nach wie vor keine Garantien für einen fairen Wettbewerb, eine der Grundbedingungen für offene Handelsbeziehungen; es gibt keine Bereitschaft, die Zusagen in der fundamentalen Fischereifrage einzuhalten; und es gibt kein Interesse, akzeptable Streitbeilegungsmechanismen für das künftige Abkommen einzurichten. Dazu kommen noch viele weitere offene Punkte, etwa in den Bereichen Transport und Energie oder Polizei und Justiz.

Barnier: „Wenn es nach den Briten geht, dann könnten ihre Fluglinien in der EU operieren, ohne Standards einhalten zu müssen, Fernfahrer müssten sich nicht an EU-Regeln halten, Energie könnte ohne Kontrollen staatlicher Beihilfen und ohne CO2-Vereinbarungen geliefert werden usw.“ Er schloss mit den Worten: „Wir werden niemals die Interessen der EU einzig zum Vorteil Großbritanniens opfern.“