In London wird am Freitag eine Entscheidung des High Courts zu der Frage erwartet, ob die für kommende Woche angekündigte Zwangspause des Parlaments rechtmäßig ist. Mit der Entscheidung wird um 11.00 Uhr MESZ gerechnet. Am Abend soll das britische Oberhaus das Gesetz gegen einen ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens am 31. Oktober verabschieden. Gegen die von Johnson dem Parlament auferlegte Pause hatten unter anderem die Geschäftsfrau und Aktivistin Gina Miller und Ex-Premierminister John Major geklagt. 

1. Wurde ein No-Deal-Fiasko verhindert?
Die Parlamentarier versuchen es jedenfalls. Ein entsprechendes Gesetz ist vom Unterhaus im Eilverfahren gebilligt worden. Es soll die Regierung zwingen, die EU um eine Verschiebung des Brexit-Datums vom 31. Oktober auf den 31. Jänner zu bitten, falls London und Brüssel sich beim EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober nicht noch auf einen geregelten Abgang einigen können. Die Vorlage soll heute vom Oberhaus abgezeichnet und am Montag Gesetz werden: gerade noch rechtzeitig vor der von Premier Boris Johnson geplanten Vertagung des Parlaments, die am Dienstag beginnen kann.

2. Ist damit garantiert, dass es zu keinem Brexit-Chaos kommt?
Nicht unbedingt. Selbst wenn das Gesetz rechtzeitig steht, fragt sich, ob Johnson es als Weisung akzeptiert oder ob er noch Wege und Mittel findet, es zu umgehen. Er hat ja mehrfach erklärt, dass er sich an den Parlamentswillen nicht gebunden fühle – und dass er sein Land am 31. Oktober aus der EU führen werde, „komme, was wolle“. Vor allem hofft er darauf, am Montag im Unterhaus grünes Licht für Neuwahlen zu erhalten. Wahltag soll der 15. Oktober sein. Sollte es dazu kommen und sollte Johnson die Wahlen gewinnen, könnte er das jetzt zustande kommende Gesetz per neuer Mehrheit einfach wieder abschaffen. Wenige Tage später stünde den Briten damit erneut ein No-Deal-Brexit bevor.

3. Ist Johnson darum scharf auf Wahlen?
Ja. Im jetzigen Unterhaus hat er ja keine Basis mehr und ein Wahlsieg gäbe ihm volle Handlungsfreiheit. Auch hätte er die Möglichkeit, nach einem Neuwahlbeschluss durch das Parlament das Datum des 15. Oktober noch einmal zu ändern und die Wahlen in den November zu legen. Dann würde Großbritannien aus der EU ausscheiden, während es sich noch im Wahlkampf befindet. Daran könnte Johnson niemand hindern. Allerdings müsste der Premier fürchten, dass ein No-Deal-Brexit unmittelbar zu Autostaus an den Grenzen oder zu einem Pfundverfall führen und dass dies seine Wähler verunsichern würde.

4. Wovon hängen Neuwahlen ab?
Von der oppositionellen Labour Party. Die hat seit Langem Neuwahlen gefordert. Viele Labour-Leute sehen aber nun natürlich, dass ein rascher Beschluss dem momentan eingeengten Johnson erneut freie Hand verschaffen würde. Sie fordern darum, Neuwahlen auf keinen Fall vor November zuzulassen. Das Problem für sie ist, wie immer, Parteichef Jeremy Corbyn. Der ist nicht nur selbst ein Brexiteer, sondern geradezu versessen auf möglichst frühe Wahlen. Corbyn ist trotz katastrophaler Meinungsumfragen fest davon überzeugt, dass er gewinnen – und dann selbst einen Brexit aushandeln könnte.

5. Die größeren Probleme haben aber wohl die Konservativen?
Die Tories stehen vor einer echten Zerreißprobe. Der Parteiausschluss von 21 konservativen Abgeordneten hat zu echten Tumulten geführt. Johnson hatte potenziellen Rebellen gegen seinen No-Deal-Kurs ja angedroht, sie aus der Partei zu werfen. Nicht gerechnet hatte er damit, dass sich so viele über diese Warnung hinwegsetzen würden – darunter populäre Veteranen und jüngst noch amtierende Kabinettsmitglieder. Mittlerweile sprechen beunruhigte Tories von „unakzeptablen Säuberungen“. Sie fordern die sofortige Wiederaufnahme der 21. Am Donnerstag gab auch Johnsons Bruder Jo seinen Rücktritt aus der Regierung und seinen Rückzug aus der Politik bekannt. Auch für den eher moderaten Jo Johnson ist offenbar eine Grenze des Erträglichen erreicht.