Zwei aufwühlende Prozesstage am Wiener Landesgericht endeten mit einem Paukenschlag: Freisprüche für alle zehn Angeklagten, die laut Anklage über Monate hinweg sexuellen Kontakt zu einer damals zwölfjährigen Schülerin hatten. Politikerinnen und Politiker sprachen umgehend von einem „fatalen Signal“, das Gericht und Staatsanwaltschaft geraten in die Kritik.
Im Regierungsprogramm ist schon länger von einer Verschärfung des Sexualstrafrechts die Rede. Künftig soll ein klares Konsensprinzip gelten: Vor jeder sexuellen Handlung muss eine eindeutige Zustimmung vorliegen. Im aktuellen Verfahren hätte das allerdings nichts geändert, stellte das Gericht klar – die Beweiswürdigung hätte auch mit diesem Maßstab keinen anderen Ausgang genommen.
Video: Richterpräsident Kanduth in der ZiB2
Am Montag reagierte das Justizministerium: Es ordnete an, dass die Staatsanwaltschaft Wien Nichtigkeitsbeschwerde beim Obersten Gerichtshof einlegen muss. Damit wird der Fall nun höchstrichterlich überprüft.
Gernot Kanduth verteidigt Rechtsstaatlichkeit
In der ZiB2 stellte sich Richterpräsident Gernot Kanduth den Fragen von Moderator Armin Wolf. Auf die öffentliche Empörung angesprochen, dass zehn junge Männer nachweislich mit einer Zwölfjährigen Sex gehabt haben sollen und dennoch freigesprochen wurden, betonte Kanduth den rechtsstaatlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung: „Für eine Verurteilung muss eine mit Sicherheit liegende Wahrscheinlichkeit bestehen. Gibt es begründete Zweifel, sind die Richter verpflichtet, freizusprechen.“
Aktenkenntnis habe er selbst nicht, deshalb könne er die konkrete Begründung des Senats nicht beurteilen. Zudem sei die Öffentlichkeit bei der mündlichen Urteilsverkündung ausgeschlossen gewesen – unter anderem zum Schutz des Opfers.
Debatte über Anklage und Vorsatz
Kanduth wies darauf hin, dass Gerichte an die Anklage gebunden sind: „Wenn nicht wegen Sex mit Unmündigen angeklagt wird, wird die Staatsanwaltschaft dafür einen Grund gehabt haben.“ Nach bisher bekannten Informationen soll die Staatsanwaltschaft argumentiert haben, dass die Angeklagten von einem Alter von 14 Jahren ausgingen. „Der Täter muss einen bedingten Vorsatz auf das Alter des Opfers haben“, erklärte Kanduth. Es gelte nicht einfach „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Weiter: „Hier haben nicht nur zwei Berufsrichter entschieden, sondern ein Jugendschöffensenat. Damit hat sich die Bevölkerung in Form der Schöffen an der Urteilsfindung beteiligt.“
Auch die Frage, ob die Justiz Urteile künftig besser erklären müsse, bejahte er grundsätzlich. Im vorliegenden Fall sei das aber „sehr schwer“, da der Schutz des Opfers Vorrang habe.
Politische Konsequenzen offen
Die Freisprüche befeuern nun die politische Diskussion um eine Reform des Sexualstrafrechts. Ein zentrales Element des geplanten Konsensprinzips: Künftig soll nicht mehr das bloße „Nein“ des Opfers ausreichen, sondern ein ausdrückliches „Ja“ erforderlich sein. Ob und wie schnell diese Reform kommt, liegt nun beim Gesetzgeber – „das muss die Politik entscheiden“, so Kanduth.