Bevor die sowjetischen Truppen in Graz einmarschierten, tauchten nationalsozialistische Amtsträger unter. Siegfried Uiberreither, Gauleiter seit dem April 1938 und seit 1. September 1944 Reichsverteidigungskommissar, übergab am 8. Mai seine Machtbefugnisse an Armin Dadieu, der als Gauhauptmann wie der Oberbürgermeister von Graz, Julius Kaspar, die Verwaltungstätigkeit an die sich formierende Sozialdemokratie unter Reinhard Machold weiterreichte. Der illegale Nationalsozialist und Ariseur Kaspar, der „Groß-Graz“ 1940 für „judenrein“ erklärt hatte, wurde am 9. Mai 1945 ermordet am Stadtrand aufgefunden. Dadieu gelang die Flucht und er konnte letztlich seine Forschungstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. Uiberreither stellte sich der britischen Besatzungsmacht, trat im Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg als Zeuge auf und floh danach erneut. Unter neuem Namen, der den österreichischen Behörden bekannt war, lebte er in Deutschland unbehelligt, da man „vergaß“, die Auslieferung zu beantragen.


Dieser Gauleiter, der für die brutale Germanisierungspolitik in der sogenannten „Untersteiermark“ die Verantwortung trug, war in der Endphase des Krieges mit absoluter Macht ausgestattet. Diese Dezentralisierung des Totalitarismus diente ihm für eine neue, finale Terrorwelle. Auf seinen Befehl hin wurden politische Häftlinge ohne Gerichtsverfahren ebenso ermordet wie alliierte Flugzeugbesatzungen, die aus ihren getroffenen Maschinen abspringen konnten – der letzte große Luftangriff erfolgte zu Ostern 1945 –, oder jüdische Ungarn, die auf den Todesmarsch gezwungen wurden.

Das Massaker am Präbichl

In der Belgier-Kaserne und auf dem Felieferhof mordete die SS, im Süden von Graz mordete ein Ortsbauernführer mit seinem Sohn. Ein Volkssturmmann erschoss in der Nähe von Murau französische Kriegsgefangene, die Schanzarbeit leisten mussten. Zwischen 7.000 und 12.000 jüdische Ungarn wurden in den letzten Tagen des Krieges durch die Steiermark getrieben, nur 2000 überlebten. Beim Massaker am Präbichl, am 7. April 1945, erschossen Eisenerzer Volkssturmmänner mehr als 200 Menschen, während in der Weststeiermark ein Lehrer seine Schüler aufforderte, auf die Elendsgestalten zu spucken.

Am 16. März 1945 startete die Rote Armee ihre Offensive, Ende des Monats standen die ersten Verbände auf steirischem Boden, die „Reichsschutzstellung“ blieb eine für viele tödliche Schimäre. Statt zu kapitulieren, schufen illusionistische Planung und hinhaltender Widerstand jenen Raum, in dem die letzte Welle des NS-Terrors Platz griff, die sinnlosen Zerstörungen weitergingen und die Zivilbevölkerung endgültig unter die Räder des Kriegs kam.

Der Kampf um die Ausseer Kunstschätze

Gleichzeitig verstärkten sich Einsätze der Partisanen, die etwa in Eibiswald weitere Opfer in der Zivilbevölkerung forderten. Als die sowjetische Armee am 9. Mai kampflos in Graz einmarschierte, traf sie bereits auf einen provisorischen Landesausschuss unter Machold, der schließlich nach Vorgaben der dominanten Besatzungsmacht eine provisorische Landesregierung nach dem Wiener Modell, also unter Beteiligung aller drei Parteien, zu bilden hatte, die schließlich am 15. Mai ihre Tätigkeit aufnahm.
Während die Briten zunächst nur wenige Bereiche der Steiermark besetzt hielten, kontrollierten die Sowjets gemeinsam mit den unter ihrer Führung operierenden Bulgaren den größten Teil der Steiermark bis zur Enns. Das Ausseerland, die imaginäre Alpenfestung, Rückzugsort prominenter Nazis, kam bis 1948 unter amerikanische Verwaltung. Im letzten Augenblick verhinderte die regionale Widerstandsbewegung in Aussee die Vernichtung der im Salzbergwerk gebunkerten Kunstschätze.


Aus Dankbarkeit für das Ende des Krieges ließen die Kirchen im ganzen Land die noch vorhandenen Glocken läuten. Als Befreiung empfanden die Steirer vorerst aber lediglich den Abzug der Sowjets, die am 24. Juli das von ihnen vom Nationalsozialismus befreite Gebiet an die Briten übergaben.

Sehnsucht nach Normailtät

Machold strukturierte rasch die Landesverwaltung, reorganisierte seine Partei, indem er die noch lebenden Funktionäre in ihre Positionen berief, die sie im Februar 1934 innegehabt hatten, und offerierte den Sowjets den letzten, bis 1934 demokratisch legitimierten Landeshauptmann der Steiermark, Alois Dienstleder, als Repräsentanten der ÖVP. Zögerlich übernahm Dienstleder diese Funktion und formierte die neue Partei in enger Abstimmung mit den alten Funktionären des katholischen Bauernbundes. Aus deren Reihen wurde nach den bundesweiten Wahlen im November – den ersten Wahlen, die in der neuen Republik Österreich abgehalten wurden –Anton Pirchegger am 28. Dezember 1945 vom Landtag zum Landeshauptmann gewählt.

Die Sehnsucht nach Normalität spiegelte sich im raschen Bemühen um die Belebung der Theater- und Konzertlandschaft, die ein wenig über die katastrophale Lage hinwegtrösten sollten. Die Demontage intakter Industrieanlagen durch die Sowjets stand im Widerspruch zu den ersten Schritten des Wiederaufbaus. Schutträumung und erste Reparaturen an Brücken, Straßen und Schienen standen im Vordergrund. Nach der Flucht und dem Untertauchen der Nazi-Funktionäre wurde in Absprache mit den Besatzungsmächten „entnazifiziert“. Den registrierten Nazis wurde das aktive und passive Wahlrecht entzogen, die Säuberung der Verwaltung und des Unterrichtswesens stieß wie die der Wirtschaft allzu rasch an die Grenzen der „Fachleute“, die scheinbar unersetzbar waren. Die „Ehemaligen“ reagierten nun mit jener charakteristischen Wehleidigkeit, die ganz im Gegensatz zu dem von ihnen über sieben Jahre ausgeübten unbarmherzigen Terror stand.

Das Land war trotz der Massenflucht vor den anrückenden Sowjets und der Abwesenheit der kriegsgefangenen Steirer übervoll. Flüchtlinge und Vertriebene aus den angrenzenden Ländern, versprengte Soldaten der Deutschen Wehrmacht und die Angehörigen der Besatzungsarmeen gesellten sich zu den Bewohnern. Mitunter kehrten aus den Konzentrationslagern des gestürzten nationalsozialistischen Regimes befreite Steirerinnen und Steirer zurück. Unter ihnen die wenigen überlebenden jüdischen Steirer. Die Bevölkerung der Steiermark begann, sich in die neuen Verhältnisse einzuleben: Zehn Jahre sollten die Briten nun als Besatzungsmacht in Land bleiben.