Zunächst waren es nur ein paar Dutzend, nach und nach wurden es mehr, die sich heute zunächst auf dem Wiener Heldenplatz, später am Stephansplatz, versammelten. Unter den ersten bei der Kundgebung sind zwei jugendliche Mädchen. Auf Englisch beginnen sie zu erzählen. Befinden sich ihre Angehörigen in Sicherheit? Beide kämpfen gegen die Tränen. Sie wissen es nicht genau. In die Kamera wollen sie nicht sprechen.

Am Heldenplatz hat sich inzwischen ein größerer Kreis formiert, eine Frau in der Mitte ergreift das Mikrofon. Erst auf Ukrainisch, dann auf Englisch richtet sie sich unter großem Beifall der Anwesenden an die internationale Gemeinschaft. Dazwischen wird immer wieder gesungen oder Sprechchöre, die man noch aus der Zeit der Euromaidan-Bewegung kennt, ertönen.

Die Atmosphäre lässt sich nur schwer beschreiben, die Fassungslosigkeit der Ukrainer in Wien ist spürbar. Die Wut, die sich hier noch vor wenigen Wochen gegen die "Corona-Diktatur" entladen hat, ist eine andere als damals, ihr Ziel konkreter: Wladimir Putin. 

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In ihren Forderungen sind sich die Demonstranten einig. Der Westen müsse entschieden und schnell reagieren. Russland müsse sofort aus dem Swift-Zahlungssystem ausgeschlossen werden. Die Nato solle den ukrainischen Luftraum sichern. Die EU solle die Ukraine mit Waffen unterstützen. Es dürfe keine Art diplomatischer Beziehungen mehr zu Russland geben. Der Tenor lautet: Heute ist es die Ukraine – wer ist es morgen?

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Die Frau am Mikrofon wird lauter und emotionaler, je länger sie spricht. "Europa und die Welt haben einen Feind: Putin." Alle müssten verstehen, das sei kein Krieg gegen die Ukraine, sondern gegen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit. "Jetzt ist der Zeitpunkt, dagegen aufzustehen." Bemerkenswert ist der Zusammenhalt unter den Teilnehmern der Kundgebung, die auch Passanten und Beobachter nicht kaltzulassen scheint, wenn Sprechchöre oder Lieder angestimmt werden.

Die Frau am Mikrofon bringt auf den Punkt, was wohl vielen aus der Seele spricht: "Auch wenn es die zwei schwersten Tage für uns waren, ich war nie stolzer, eine Ukrainerin zu sein."