Am Donnerstag ist am Wiener Landesgericht gegen Protagonisten einer Bande verhandelt worden, die seit 2018 in Wien ihr Unwesen treibt und die - wie Staatsanwalt Florian Pöschl erklärte - "alte Leute ausgenommen hat". Die Opfer werden mit der Masche hinters Licht geführt, Polizisten müssten ihr Bargeld und Schmuck sicherstellen, das vermeintliche Beamte dann tatsächlich abholen. Mindestens 4,5 Millionen Euro haben die Kriminellen damit erbeutet.

Bisher sind am Landesgericht in dieser Sache nur einige "Geldabholer" verurteilt worden, nun hatten sich die Mutter und die Schwester des Bandenchefs sowie vier Mitangeklagte vor einem Schöffensenat (Vorsitz: Katharina Lewy-Adegbite) zu verantworten. Während sich die Mittäter großteils umfassend geständig zeigten, leugneten die 55 bzw. 26 Jahre alten Frauen jede Verantwortung. "Ich schäme mich für meinen Sohn, dass wir (gemeint: die Familie) unseren Namen befleckt haben und hier sind", sagte die 55-Jährige. Kurz nach 16.30 Uhr kollabierte die Frau im Verhandlungssaal. Rasch waren mehrere Justizwachebeamte zur Stelle, die sich um die 55-Jährige kümmerten. Schließlich wurde die Rettung gerufen, der Saal geräumt und die Angeklagte versorgt. Die Verhandlung wurde für mindestens 20 Minuten unterbrochen. Mit Urteilen dürfte nicht vor 19.00 Uhr zu rechnen sein.

Sie und ihre Tochter hätten sich nichts zuschulden kommen lassen, hatte die 55-Jährige in ihrer Einvernahme versichert: "Sowohl meine Tochter als auch ich können erhobenen Hauptes nicht sagen, dass wir etwas falsch gemacht haben." Die Mutter versicherte, sie wäre nur ihrer Witwenpension wegen nach Österreich gekommen. Geld aus den Betrügereien habe sie nicht entgegengenommen, sie habe auch keine Wertsachen in die Türkei geschafft.

Ihr Sohn, der lange Zeit in Vorarlberg gelebt hat, soll vom Raum Istanbul aus das kriminelle Geschehen steuern. Mittels gespooften, das heißt computertechnisch veränderten Rufnummern werden gezielt Senioren angerufen, deren Vornamen auf ein entsprechendes Alter hinweisen. "Eine Jacqueline oder einen Justin wird keiner anrufen", betonte der Staatsanwalt. Den Opfern werde am Telefon weisgemacht, in der Nachbarschaft wäre eingebrochen worden, bei den festgenommenen Dieben habe sich eine "Einbruchsliste" gefunden, auf der sich auch ihr Name samt Adresse befände. Um ihr Geld und ihre Wertsachen zu retten, werde in Kürze ein Kollege von der Polizei vorbeischauen, um das Vermögen vor den Einbrechern in Sicherheit zu bringen.

In Dutzenden Fällen haben Betroffene den falschen Polizisten, die wenige Minuten nach derartigen Telefonaten tatsächlich anklopfen, ihren Schmuck und ihre finanziellen Reserven auf Nimmerwiedersehen übergeben. "Darunter sogar das Begräbnisgeld, das sie sich auf die Seite gelegt haben, um nicht der Familie nach dem Ableben zur Last zu fallen", empörte sich der Staatsanwalt. Teilweise ließen sich Opfer von den Schwindlern sogar zur Bank chauffieren, wo sie ihre Schließfächer leerräumten und den Inhalt den vermeintlichen Polizisten überreichten.

Der "Strippenzieher" kann von der heimischen Justiz vorerst nicht behelligt werden, da er es tunlichst vermeidet, türkischen Boden zu verlassen. Weil es mit der Türkei kein rechtsverbindliches Übereinkommen hinsichtlich der Strafverfolgung der jeweiligen Staatsbürger gibt, ist der türkische Staatsbürger für die Wiener Behörden nicht greifbar.

Allerdings konnten seine Mutter und seine Schwester festgenommen werden, die Ende Februar 2020 nach Wien reisten, um laut Anklage Beutestücke zu übernehmen. Die beiden sollen sich schon 2019 in einem Flieger nach Belgrad begeben haben, um dort eine "Großlieferung" der in Wien erbeuteten Preziosen entgegenzunehmen und diese weiter in die Türkei zu schaffen. Sie habe "die ganze Last" getragen, beschwerte sich die Schwester später beim Bandenchef per WhatsApp, wie dank einer Telefonüberwachung zutage kam. Im Vorjahr kamen Schwester und Mutter über Budapest nach Wien, wobei sie offenbar die Beute diesmal per Luftfracht von Ungarn in die Türkei befördern lassen wollten. Nun drohen den angeklagten Frauen mehrjährige Haftstrafen, die Staatsanwaltschaft wirft ihnen kriminelle Vereinigung und Geldwäsche vor.

"Äußerst aggressiver Mensch"

Ihre Verteidigerin Astrid Wagner bekräftigte, die beiden hätten keine vorsätzlich strafbaren Handlungen begangen. Der Sohn bzw. Bruder wäre ein "äußerst aggressiver und dominanter Mensch. Er hat das Kommando geführt, es musste alles nach seinem Willen geschehen". Sie hätten sich "nichts Böses gedacht", als sie entsprechend seinen Direktiven handelten. "Eine gewisse Naivität könnte man ihnen vielleicht unterstellen", räumte Wagner ein. Die zwei Frauen wären allerdings "Randfiguren", die Tochter sei "der Freigeist der Familie, künstlerisch interessiert, sie hat in Istanbul Design studiert".

Die Hauptangeklagten im gegenständlichen Verfahren wurden jedoch von den vier Mitangeklagten - allesamt langjährige Bekannte der Familie - teilweise belastet. Einer von ihnen - ein 42 Jahre alter Familienvater - dürfte in der Bundeshauptstadt eine zentrale Rolle bei der Abwicklung der kriminellen Geschäfte der Bande gespielt haben. Die falschen Polizisten sollen im Regelfall ihm die Beute übergeben haben, die er dann - teils per Boten, teils per Post - in die Türkei geschickt haben soll. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 42-Jährige für den Transfer von zumindest 600.000 Euro verantwortlich ist. 200.000 Euro soll er unter seinem Bett "gebunkert" gehabt haben.

Der von Rechtsanwalt Christian Werner verteidigte Mann gestand ein, von zwei falschen Polizisten mehrfach Geld entgegen genommen zu haben. Zehn Übergaben hätten stattgefunden, pro Transaktion habe er 500 bis 1.000 Euro erhalte. Insgesamt habe er "maximal 150.000 Euro" entgegengenommen. Die Hauptangeklagten habe er vom Flughafen abgeholt, er habe auch Geldüberweisungen in die Türkei getätigt.

Verteidiger Philipp Wolm, der den Sohn des 42-Jährigen vertrat, kündigte ein umfassendes und reumütiges Geständnis seines Mandanten an: "Der Staatsanwalt hat die Anklage mehr als pfannenfertig serviert