Die Vorwürfe wiegen schrecklich schwer: 95 minderjährige Buben soll ein Arzt aus dem Salzkammergut bei Untersuchungen in seiner Ordination sexuell missbraucht haben. Die ältesten Fälle reichen bis in das Jahr 2000 zurück.

Über das Ausmaß des mutmaßlichen Missbrauchsskandal hatten die Oberösterreichischen Nachrichten (OÖN) am Dienstag als erste berichtet. Der oberösterreichische Mediziner sitzt seit Ende Jänner in Untersuchungshaft. Er wurde festgenommen, nachdem ein Bursch sein Schweigen gebrochen hatte. Das Kind war wegen einer Hodenfehlstellung bei dem Arzt in Behandlung. Zu den minderschweren Fällen habe der Mann inzwischen ein Geständnis abgelegt, informierte die Welser Staatsanwältin Silke Enzlmüller.

Zu den schweren Missbrauchsvorwürfen sei der Beschuldigte aber weiterhin nicht geständig. Die „Untersuchungen“ im Anal- und Genitalbereich seiner jungen Patienten seien „medizinisch indiziert“, also notwendig gewesen, sagte der Verdächtige bisher aus.
Dazu gab die Anklagebehörde ein ärztliches Gutachten in Auftrag. Der wenig überraschende Inhalt dieser Expertise liegt bereits vor: Es liege „keine medizinische Indikation“ für diese Art von Untersuchungen vor, und diese seien auch „nicht wissenschaftlich fundiert“ gewesen.
Dass noch weitere mutmaßliche Opfer auftauchen könnten, sei nicht ausgeschlossen.

Möglicherweise gibt es weitere Opfer

Die Ermittlungen sind laut der Staatsanwältin noch nicht abgeschlossen. „Es sind noch nicht alle uns bekannten Opfer auch einvernommen worden. Wenn dies bis Mitte August abgeschlossen ist, dann ist auch noch eine weitere Beschuldigteneinvernahme geplant“, sagte Enzlmüller den Oberösterreichischen Nachrichten.

Wie berichtet, warten die Ermittlungsbehörden auch noch auf das Einlangen von weiteren Gutachten über die Schwere der psychischen Folgen für die Opfer. In vier Fällen stehe der Verdacht des schweren Missbrauchs im Raum.

Käme die psychiatrische Expertise zum Ergebnis, dass schwere Folgen vorliegen, dann würde sich der Strafrahmen von bis zu zehn auf bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe erhöhen, erläuterte die Staatsanwältin.
„Ich habe als Mutter so schwer damit zu kämpfen, dass ich nie etwas bemerkt habe“, sagte die Mutter jenes Burschen, der als Erster über die „Untersuchungsmethoden“ des Arztes gesprochen hatte. Laut Protokoll fand das ärztliche Aufklärungsgespräch noch gemeinsam mit der Mutter statt.

Erinnerungen an Franz Wurst

Bei den folgenden Untersuchungen war die Frau allerdings nicht dabei. Der Minderjährige musste sich laut Protokoll die Hose ausziehen, und der Mediziner habe dem damals etwa 13-Jährigen gezeigt, „wie das Onanieren geht“.

Der Fall erinnert an den Klagenfurter Kinderarzt Franz Wurst. Über Jahrzehnte hatte der anerkannte Mediziner seine jungen Patienten sexuell missbraucht. Niemand glaubte den Erzählungen der Kinder. Erst im Jahr 2002 wurde Wurst für seine Taten verurteilt. Wegen Haftunfähigkeit wurde er nach vier Jahren wieder entlassen.