Der Prozess gegen einen 29-jährigen Kasachen wegen Terrorismus ist Donnerstagfrüh gestartet. Der Mann soll von August 2013 bis November 2015 mehrfach nach Syrien gereist sein und aktiv gegen die Truppen des Assad-Regimes gekämpft haben. Weil das als mehrfacher versuchter Mord gewertet wird, wird die Causa vor einem Schwurgericht verhandelt.

Laut Staatsanwaltschaft hat der Beschuldigte die tschetschenische Islamistengruppe "Emirat Kaukasus" unterstützt, die dem "Islamischen Staat" (IS) die Treue schwor. Angeklagt sind die Verbrechen der terroristischen Vereinigung, das Verbrechen der kriminellen Organisation, die Verbrechen der terroristischen Straftaten sowie das Verbrechen der Ausbildung für terroristische Zwecke. Im Fall einer Verurteilung droht dem 29-Jährigen lebenslange Haft, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass er jemanden getötet hat und das zumindest billigend in Kauf genommen hat.

Der 29-Jährige bekannte sich schuldig, Teil der Gruppierung "Emirat Kaukasus" gewesen zu sein. Doch er lehne die Ideologie des IS ab, sagte sein Verteidiger Wolfgang Blaschitz. Er sei nach Syrien gereist und habe als Rebell gegen das Regime Assad bekämpft, um damit die Zivilbevölkerung zu unterstützen. Er habe dabei nie auf Menschen, sondern in die Luft geschossen, um ein Heranrücken der feindlichen Truppen zu verhindern, so Blaschitz. "Was er nicht ist, ist ein Terrorist; und schon gar nicht ein Terrorist, der dem IS zuzuordnen ist", sagte der Anwalt.

Der Prozess findet deshalb in Österreich statt, weil der Mann seit Dezember 2015 in Wien unter falscher Identität gelebt hat. Er gab bei den österreichischen Behörden an, Russe zu sein und aufgrund seiner religiösen Minderheitsangehörigkeit in Russland verfolgt zu werden. Damit stellte er Antrag auf internationalen Schutz. Er lebte jahrelang in der Donaustadt, ging keiner Beschäftigung nach und kassierte monatlich Sozialhilfe.

Im März 2017 allerdings informierten die kasachischen Sicherheitsbehörden das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) über den Aufenthalt des ehemaligen Kämpfers in Wien. Mittels Fingerabdrücken und Lichtbildern wurde der Mann, der sich mit falscher Geburtsurkunde und falschem russischen Führerschein auswies, als der gesuchte Kasache identifiziert.

Die Behörden in Kasachstan beantragten die Auslieferung. Das Wiener Straflandesgericht erklärte dies jedoch für unzulässig, da in seiner Heimat ein Strafverfahren nicht den Grundsätzen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten entsprechen würde.

Der Angeklagte entwickelte Anfang 2013 Interesse am Krieg in Syrien. Der 29-Jährige entschloss sich im August 2013 laut Staatsanwalt, nach Atmeh zu reisen, um gegen die Truppen des Assad-Regimes zu kämpfen. Von seiner Heimat Kasachstan flog er über Moskau nach Istanbul. Mithilfe von Schleppern wurde er nach Syrien gebracht. Der Plan war, sich dort der aus dem syrischen Flügel der tschetschenischen Islamistengruppe "Emirat Kaukasus" gebildete Miliz Jamwa (Jaish al-Muhajuireen wal-Ansar) anzuschließen.

In Atmeh wurde er zunächst drei Wochen lang in einem Camp für angehende Kämpfer ausgebildet. Neben einem täglichen Kampftraining wurde dem 29-Jährigen auch die Handhabung mit Waffen - dem Sturmgewehr AK47 sowie einer Panzerfaust - beigebracht. Bestückt mit einer Pistole der Marke "Tokarev" und dem Sturmgewehr wurden er und seine Kameraden ab Herbst 2013 mit der Verteidigung der Stadt Haritan sowie dem nahegelegenen Aleppo betraut, wobei er bei Stellungskämpfen laut Anklage durchaus seine Waffen gegen heranrückende syrische Soldaten einsetzte.

Auch als einige Zeit später syrischen Truppen der Vorstoß in diese Region gelang und sie eine Hauptverbindungsstraße zwischen Aleppo und Atmeh mit Panzern beschossen, beschloss der Kommandant der Truppe rund um den 29-Jährigen einen Angriff auf die syrischen Regierungstruppen. Bei den Kampfhandlungen kamen zwei seiner Freunde ums Leben, ein weiterer wurde verletzt.

Im Jänner 2014 kehrte der Angeklagte in die Türkei zurück, um sich von den Strapazen der Kämpfe zu erholen. Nachdem er im Sommer 2014 im Dienste ukrainischer Kämpfer als Söldner im Einsatz war, kehrte er im Jänner 2015 nach Syrien zurück, um die Kampftruppe Jamwa erneut zu unterstützen. Bei zwei Tage lang andauernden Gefechten nahe Sheikh Najjar, einer Industriestadt im Norden Syriens, wurde der 29-Jährige laut Anklage durch Bombensplitter am Oberschenkel, Kopf und Händen verletzt. Nachdem seine Verletzungen verheilt waren, verließ er die Truppe und floh über die Ukraine nach Österreich, wo er den Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Noch bevor er sich in Österreich niederließ, veröffentlichte er laut Staatsanwalt in einem sozialen Medium Schilderungen seiner Erlebnisse in Syrien. Dabei habe er "stolz Fotos von seinen Kampfverletzungen" gezeigt, sagte der Ankläger. Mindestens vier Kontakten soll er so Berichte über seine Beteiligung an Kampfhandlungen sowie glorifizierende Fotos von terroristischen Vereinigungen geschickt haben mit dem Ziel, Gleichgesinnte zu gewinnen und das Gedankengut zu verbreiten, was der 29-Jährige bestreitet.

Gegen Mittag haben die Geschworenen mit der Beratung begonnen. Da bisher noch keine Prozesspause gemacht wurde und die Rechtsbelehrung aufgrund des Fragenkataloges umfangreich sein wird, ist mit einem Urteil eher am späteren Nachmittag zu rechnen.

Bei der Befragung durch den Richter hat der Beschuldigte seine Handlungen in Syrien relativiert. "Ich wollte nur helfen", sagte er. Er habe sich in Syrien einer Gruppierung anschließen wollen, um die zivile Bevölkerung zu unterstützen. "Ich habe gewusst, dass es dort russisch-sprachige Gruppierungen gibt", meinte er. In Atmeh angekommen seien Männer auf ihn zugekommen und haben gemeint: "Schließt Euch uns an." Somit sei er in das Ausbildungscamp von "Emirat Kaukasus" gekommen. Auch die Al-Nusra-Front, der syrische Al-Kaida-Ableger, sei im Gespräch gewesen.

Der Kasache bezeichnete die Trainings in dem Camp, wo neben Religion auch Kampftechniken gelehrt wurden, als "Leibesübungen". Der Richter zeigte sich bei diesen Äußerungen verwundert und meinte, das dies eher kein "Sommerlager für junge Männer" gewesen sein könne. Durchaus gab der Beschuldigte zu auch Nahkampftechnik und Handhabung an der Waffe - wie etwa das Sturmgewehr AK47 - trainiert zu haben.

Acht Mal soll er danach aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen haben. Die Kalaschnikow habe er erstmals im Herbst 2013 eingesetzt, um die Region rund um die Stadt Haritan sowie dem nahegelegene Aleppo zu verteidigen. 15 Schuss soll er dabei abgegeben haben. "Das waren keine Kampfeinsätze, sondern Einsätze zur Verteidigung des Territoriums", sagte der 29-Jährige. "Welches Territorium?", fragte der Richter. "Das Territorium, wo friedliche Menschen gelebt haben."

Im Jänner 2015 kam es erneut zum Waffeneinsatz. "Ich habe die ganze Nacht in Richtung des Feindes geschossen", zitierte der Richter aus den Vernehmungsprotokollen der Polizei. "Ich habe nicht gesagt Richtung Feind, sondern dass ich die ganze Nacht geschossen habe", relativierte der Angeklagte. Beim Beschuss, der eineinhalb Stunden dauerte, soll er 120 Schuss abgegeben haben. "Haben Sie nie damit gerechnet, dass da eine Person sterben könnte", wollte der Richter wissen. "Nein, weil ich nicht zielgerichtet auf jemanden geschossen habe. Einfach so herumschießen ist wie in die Luft schießen", argumentierte er.

"Wenn man mit einer tödlichen Waffe in eine Richtung schießt, nimmt man in Kauf, dass jemand stirbt", meinte der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer. Dagegen hielt Anwalt Wolfgang Blaschitz mit dem Argument, dass die AK47 lediglich eine Reichweite von 400 Meter habe. "Wenn die anderen Leute allerdings einen Kilometer und mehr entfernt sind, ist das kein versuchter Mord."

Entscheidend ist, ob der Beschuldigte wegen des Verbrechens der terroristischen Straftaten verurteilt wird. Wenn das Schwurgericht dies bejaht und die Schussabgaben als mehrfacher versuchter Mord gewertet werden, drohen ihm lebenslange Haft. Bei einer Verurteilung lediglich wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sind ein bis zehn Jahre Haft möglich.