Sind die beiden neuen Reaktorblöcke in Mochovce porös wie ein Sieb? Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man die öffentliche Diskussion der vergangenen Woche verfolgt. Seit Insider berichtet haben, dass die im Bau befindliche slowakische Anlage, die noch heuer in Betrieb gehen soll, von gravierenden Baumängeln behaftet sein soll, gehen die Wogen rund um die Erweiterung des grenznahen Atomkraftwerks hoch. Demnach soll etwa die Sicherheitshülle von Reaktor 3 durch Bohrungen durchlöchert worden sein, was sie zum Risiko mache.

Derart massive Mängel bei einem nagelneuen Atomkraftwerk – ein tatsächlich realistischer Verdacht? „Um das bewerten zu können, liegen noch nicht genügend Informationen vor“, sagt Nikolaus Müllner vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Boku Wien. Doch der Experte wäre nicht über die Maßen überrascht, würden sich die Berichte am Ende als stichhaltig erweisen: „Am Bau eines AKW sind heute unzählige Unternehmen beteiligt, da ist ein lückenloses Qualitätsmanagement sehr schwierig.“ Als Beispiel nennt Müllner das Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt, wo vor wenigen Jahren zutage trat, dass die Sicherheitshülle beschädigt war. Der Grund: Eine Subfirma hatte zuvor den Auftrag bekommen, im AKW Feuerlöscher zu montieren, und hatte dafür kurzerhand die sensiblen Wände angebohrt.

Neue Reaktoren gelten nicht als "neu"

Und mit noch einem Mythos räumt Müllner auf: Auch wenn die beiden Reaktorblöcke in Mochovce neu dazugebaut werden – sie zählen nicht als neue Kraftwerke. „Die Planungen dafür hatten schon in den 1980er-Jahren begonnen und wurden dann unterbrochen. Deshalb gilt das Projekt nicht als neu und muss auch nicht den Sicherheitsstandards der EU für neue AKW entsprechen.“

Ein entscheidender Unterschied, wie Atomexperten meinen. Denn auch wenn seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor fast 33 Jahren die Standards für AKW-Sicherheit in Europa deutlich nach oben geschraubt wurden, lassen sich eben nicht alle Erkenntnisse auf die alte Bausubstanz bestehender Kraftwerke umlegen. So müssten neue AKW in Europa so ausgelegt sein, dass sie eine Kernschmelze überstehen können. Sicherheitssysteme müssen dreifach redundant und baulich getrennt sein. Für Bestandsanlagen gilt das so nicht.

Ebendiese enormen Sicherheitsvorkehrungen machen neue Kernkraftwerke zu Milliardenprojekten – und damit kaum kostendeckend. Die Reaktion der Betreiber: Statt neue AKW zu bauen, setzen sie lieber auf Laufzeitverlängerungen der bestehenden Anlagen. So altert Europas Kernkraftwerkspark immer mehr vor sich hin und hinkt den höchstmöglichen Sicherheitsstandards hinterher. Echte Neuprojekte existieren wegen der treibenden Kosten in Europa entweder nur im Planungsstadium oder sie haben sich zu schwarzen Finanzlöchern entwickelt. So hat das britische AKW-Projekt Hinkley Point bereits 23 Milliarden Euro verschlungen. Um das Schlimmste zu verhindern, hat die britische Regierung vertraglich zugesichert, den dort produzierten Atomstrom 35 Jahre lang in fast doppelter Marktpreishöhe zu fördern – mehr, als jeder erneuerbare Energieträger bekommt.

Für überzogen hält Sicherheitsexperte Müllner die gesetzlichen Standards für neue Kernkraftwerke keinesfalls: „Tatsache ist, dass man das Risiko früher einfach unterschätzt hat. Die Folge waren Unfälle.“ Die meisten grenznahen AKW – zum größten Teil mehr als 30 Jahre alt – seien zwar kein „Schrott“, wie es ihnen von Atomkraft-Gegnern gerne zugeschrieben wird. „Doch an modernste Sicherheitsstandards reichen die meisten eben nicht heran, das ist nicht zu leugnen“, sagt Müllner.

Stromproduktion aus AKW sinkt

Derzeit kommen 30 Prozent des Stroms in Europa aus Kernreaktoren. Die Menge sank laut dem europäischen Statistikamt Eurostat seit 2009 um ein Zehntel. Und sie wird allen Prognosen nach weiter zurückgehen. Wie rasch, hängt nicht zuletzt davon ab, wie viele Laufzeitverlängerungen den vorhandenen AKW noch genehmigt werden.