Punkt 9 Uhr, Glocken läuten, dann spricht der Pfarrer im roten Gewand in der Kirche St. Stephan in Gmünd von Vergebung. Auf den hölzernen Bänken verteilt sitzen um die 30 Menschen. Die Messe an diesem Donnerstagvormittag hält der Pfarrer in Vertretung seines Kollegen. Denn der sitzt im Gefängnis. Roman W.* wird verdächtigt, ein Drogenlabor im Pfarrhof aufgebaut zu haben. Er sei kurz davor gewesen, gemeinsam mit Freunden große Mengen an Crystal Meth herzustellen, so der Vorwurf. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Einen Monat nachdem die Schlagzeile vom „Meth-Pfarrer“ im 5200-Einwohner-Vorzeigeort international viral gegangen ist, können es die Gmündner immer noch nicht ganz fassen. Roman W. sei „der beste Pfarrer“ gewesen, sagt ein älterer Herr im blauen Hemd auf dem Weg aus der Kirche. Zwei Damen in Blumenblusen bekräftigen: „Sehr sympathisch.“ „Mit den Kindern hat er gut können“, erzählt ein Ehepaar, das auf einer Bank vor der Kirche sitzt.
Engen Kontakt zu dem 38-jährigen Pfarrer hatten aber offenbar nur wenige. Der gebürtige Pole ist 2020 nach Österreich gekommen, im Herbst 2022 landet er in Gmünd. Fotos zeigen ihn mit Brille und lächelnd zwischen seinen Kollegen.
Hausdurchsuchung im Pfarrhof
Am 25. Juli rückten Polizisten zur Hausdurchsuchung im Pfarrhaus an. Ein Zeuge – jemand aus der Pfarrei – hatte Teile des Labors entdeckt. Roman W. wird vorgeworfen, dass er mit Freunden ein Kilo Meth weiterverkaufen wollte. Marktwert: 35.000 Euro. Wobei die fertige Droge in Gmünd nie hergestellt wurde, nur einen Testlauf hat W. akribisch mit dem Handy dokumentiert. Bis zu 15 Jahre Haft drohen bei Herstellung von Crystal Meth als Mitglied einer kriminellen Vereinigung.
Die Sonne brennt auf den Hauptplatz in Gmünd. Radtouristen belagern die Cafés und Gasthäuser. „Was das Meth angeht, wird er nicht der Einzige sein“, mutmaßt eine Lokalbesitzerin. Gmünd liegt an der Grenze zu Tschechien, wo Crystal Meth im großen Stil geschmuggelt wird. Die Droge macht schnell abhängig, sie ist leicht und günstig herzustellen. Im Suchtbericht spielt sie aber keine große Rolle, auch Gmünd sei kein Meth-Hotspot, so die Polizei.
Zu spät bei Bestattungen
Neben dem Bild vom jungen, sympathischen Pfarrer stößt man in Gmünd auch auf Zwischentöne. Innerhalb der Pfarrei „dürfte es Konfrontationen gegeben haben“, hört man von einem Kirchengänger. W. soll zeitweise im Pfarrheim in der zweiten Kirche in Gmünd – der Herz-Jesu-Kirche – gewohnt haben. Weiter vom Stadtkern entfernt liegt der Große Harabruckteich. Zwei Männer werkeln neben dem Spielplatz. Einer sagt: „Bei Begräbnissen hab ich ihn gesehen, wenn er denn mal gekommen ist.“ Oft sei er zu spät dran gewesen. So spät, dass der Bestatter ihn anrufen musste und es dann hieß: „Ah, vergessen.“
Rund 70 Kilometer entfernt sitzt Roman W. in der Justizanstalt Krems. Seine Anwältin Astrid Wagner war ihn gerade besuchen. „Mein Mandant ist ein hochdepressiver Mensch.“ Schon im Mai hatte die Diözese St. Pölten bekanntgegeben, dass sich Roman W. der „gesundheitlichen Rehabilitation“ widme und nicht mehr nach Gmünd zurückkehren würde. Wagner sagt: „Er hat einen Ausweg aus seinen Depressionen gesucht. Crystal Meth hat er probiert und es ist ihm besser gegangen. Er hat sich gedacht, er stellt das gleich selber her, auch um Schulden zu begleichen.“ W. hat das so weit auch gestanden. Die Anwältin beschreibt ihn als sensiblen, intellektuellen, aber auch suchenden Menschen. Unter drei Jahre mit stationärer Therapie peilt sie als Urteil an. Laut Staatsanwaltschaft sind noch Gutachten zum Labormaterial ausständig. Neben Roman W. ist noch ein Iraker in U-Haft.
Kein standardisiertes Verfahren
Für seinen Pfarrer werde er beten, sagt ein Kirchengänger. Ein anderer: „Er ist halt wo reingerutscht. Ich hoff, dass er, wenn er alles hinter sich hat, wieder Pfarrer wird.“ Die Diözese St. Pölten hat den Pfarrer von seinem Amt entpflichtet, bei Anfragen wird auf die Erzdiözese Warschau verwiesen. W. war „ausgeborgt“, so wie Hunderte andere Pfarrer. Denn Österreich hat einen Priestermangel.
„Es gibt kein standardisiertes Verfahren, wie Priester aus dem Ausland ausgewählt, qualifiziert und dann in den deutschsprachigen Ländern begleitet werden“, sagt Missionswissenschaftler Klaus Vellguth. Es gebe Diözesen, „die sehr qualifiziert arbeiten, und andere, denen es eher darum geht, einen unkomplizierten Zugang für Priester aus dem Ausland zu ermöglichen“. Immer weniger Menschen wollen Priester werden, deswegen würden die Einzelnen immer mehr Aufgaben bekommen. „Bei den Priestern, die zu uns kommen, haben wir die doppelte Problematik, dass sie einerseits diese übergroßen Herausforderungen bewältigen müssen, die jeder Priester bewältigen muss, und sie müssen in der interkulturellen Gemengelage zurechtkommen und in irgendeiner Form hier eine Heimat finden.“ Mit dieser Herausforderung würden einige Priester aus dem Ausland kämpfen.
Was Roman W. betrifft, will er laut seiner Anwältin vielleicht im späteren Leben als Coach arbeiten. In seinem Geständnis hält er fest: Mit seinen Machenschaften habe er nicht gegen die Zehn Gebote verstoßen.
*Name geändert