Was würde Wolfgang Sotill zu den Ereignissen in Israel sagen? Nicht nur einmal habe ich mir in den vergangenen Tagen diese Frage gestellt. Wie sich die einzige Demokratie im Nahen Osten gerade von innen heraus selbst zerstört, hat etwas Beklemmendes und kann wohl auch als Fanal für Europa gedeutet werden. Es zeigt auf einer sehr allgemeinen Ebene, was passiert, wenn ein Land die Mitte verliert, wenn seine großen traditionellen politischen Lager zu einem vernünftigen Dialog nicht mehr imstande sind und in einem aufgeheizten Klima der Polarisierung Eigeninteresse, Machthunger und Unversöhnlichkeit an die Stelle des Strebens nach dem Wohle aller treten.

Was die israelischen Besonderheiten betrifft, hätte mein Kollege Wolfgang Sotill, dessen Todestag sich am 15. März zum zweiten Mal jährte, sicherlich noch einiges hinzuzufügen gehabt. Kaum einer kannte das Land wie er, keiner redete und schrieb mit so großer Begeisterung darüber, ohne freilich Unbequemes und Besorgniserregendes zu verschweigen. Als junger Student der Theologie war er auf eigene Faust nach Jerusalem gereist. Seither ließ ihn dieser historisch, politisch und religiös so aufgeladene und umkämpfte schmale Landstreifen zwischen Mittelmeer und Wüste nicht mehr los.