Die Straße, in der ich wohne, ging unlängst ein offenkundig blinder Mann entlang. Weil kein öffentliches Verkehrsmittel hieherfährt, hielt ich an und fragte, ob ich ihn mitnehmen könne. – Er stieg dankend ein.
Da ich ihn noch nie gesehen hatte, fragte ich ihn, was ihn in unsere Gegend führte. „Ach“, sagte er, „ich besitze hier ein kleines Haus; es ist unbewohnt und da muss ich hin und wieder nach dem Rechten sehen.“

Da es mir die Sprache verschlug, meinte er: „Wissen Sie, wir Blinde können mehr, als die Sehenden annehmen, speziell, wenn man so wie ich von Geburt an blind ist.“ Er kenne die Welt nicht anders und habe sich darin halbwegs eingerichtet.

Da erinnerte ich mich an eine späte Freundin meines Vaters, die ebenfalls blind war. Als wir sie eines Abends besuchten, lag ihre Wohnung völlig im Dunkeln. Wir tasteten uns zu unseren Sesseln. Sie schwirrte durch die Zimmer, kochte und servierte uns Tee. Erst als ich mich am Tischeck hart anhaute, wurde ihr bewusst, dass wir etwas benötigten, das sie nicht brauchte: Licht. Sie entschuldigte sich und knipste ein paar Lampen an.
In der Kunst, speziell in der Musik, gab und gibt es einige Menschen, die es sehr weit gebracht haben. Ray Charles, Meister des Jazz-Pianos, musste ohne Augenlicht auskommen. Magic Stevie Wonder ebenso.

Und wenn Schmeichelstimme Andrea Bocelli seinen Blick nach oben wendet, sieht er wohl etwas, das wir nicht sehen.
Die unglaublichste Leistung von allen aber erbrachte wohl Helen Keller. Sie war von Geburt an ohne Gehör und ohne Augenlicht. Die härteste Kombination für ein ansonsten waches Gehirn. Dennoch war Keller politisch aktiv und schrieb mehrere Bücher.

Warum ich das hier erzähle? Um uns an den Respekt zu erinner, den Menschen mit einer Behinderung verdienen.