Sie sind zwar im engen Sinn kein parteipolitisch agierender Mensch mehr, aber auch nach dem Ausscheiden aus der Politik wohl ein politischer denkender Mensch geblieben.
MATTHIAS STROLZ: Ja, ja, das kann man nicht abschalten.

Tut es Ihnen da nicht leid, in einer der politisch spannendsten Abschnitte unserer Zeit nicht mehr als Politiker aktiv zu sein?
Leid tut es mir nicht. Die Entscheidung aufzuhören, ruht in großer Klarheit. Aber es bewegt mich sehr und ich habe den Wunsch, einen Beitrag einzubringen. Den Mund halten kann ich im Moment nicht – dafür fällt mir zu viel auf. Deshalb bringe ich mich in jenen Rollen ein, die ich aktuell auch lebe – das ist als Autor, als Unternehmer, als Vater.

Was ist es, was Ihnen da so auffällt und es ihnen unmöglich macht, zu schweigen?
Ich sehe, dass wir auf politischer, aber auch auf persönlicher Ebene immens gefordert sind. Deshalb wende ich mich dem Individuum zu. Ich glaube, dass wir alle spüren, dass es uns nicht so leicht von der Hand geht. Und es wird uns allen auch weiter noch viel abverlangen. Wir stehen ja erst am Beginn dieser Krise, auch wenn auf der gesundheitspolitischen Flanke die Zeichen ganz gut sind. Die ganzen Folgeverwerfungen im Wirtschaftlichen, im Gesellschaftlichen oder im Politischen warten aber noch auf uns. Das wird uns über Jahre beschäftigen. Es macht etwas mit der Gesellschaft, mit dem einzelnen Menschen.

Selbstfürsorge als Pflichtaufgabe

Was kann der Einzelne tun?
Die größte Pflicht, die jeder von uns hat, ist die Pflicht zur Selbstfürsorge. Sie war nie größer als jetzt.  Wenn wir in diesen Wochen und Monaten nicht gut auf uns schauen und aufpassen, dann wird es uns an die Wand drücken. Und wer sich nicht gut um sich selbst kümmert, kann sich auch nicht gut um andere kümmern. Der kann seine Verantwortung als Elternteil nicht gut wahrnehmen, der kann seine beruflichen Aufgaben nicht gut halten. Da muss man gut schauen, was wichtig ist und einem selbst guttut.

Ihr aktuelles Buch wirkt wie eine Masterarbeit Ihres postpolitischen Studiums der Archäologie - der Archäologie des eigenen Ichs nämlich, die sie nach dem Ausstieg aus der Politik betreiben wollten. Worauf sind sie bei diesen Grabungsarbeiten gestoßen?
Ich bin mir selbst seit Jugendjahren auf der Spur. Damals war ich wegen einer Hautkrankheit bei einer Alternativmedizinerin und die hat mir Fragen gestellt, die mir vorher noch nie jemand gestellt hatte. Das war superspannend für mich. Sie hat mich auf die Fährte meiner selbst gesetzt. Seit damals bin ich auf einer Selbstfindungsreise. Da gibt es eine enorme Verwechslung in unserer Gesellschaft: Wir glauben, lernen heißt Schule – und das geht irgendwann vorbei. Nein, wir lernen ein Leben lang. Entfaltung ist die große Einladung des Lebens. Das fasziniert mich und umso älter ich werde, desto spannendere Türen in mein Leben mache ich auf. 

Auf was stoßen sie hinter diesen Türen?
Ich lerne beispielsweise meinen Körper besser wahrzunehmen und mit mehr Respekt zu behandeln. Da war ich ein superignoranter Hund. Und es ist auch eine spirituelle Reise.

Diese Suche nach dem Ich erinnert ein bisserl an Faust. Der hatte auch Philosophie, Jus, Medizin und Theologie studiert, weil er wissen wollte, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Total. Menschsein ist ein unglaubliches Abenteuer.

Schlüsselloch Richtung Unendlichkeit

Ist es nicht auch eine Zumutung?
Ja, natürlich – im besten Sinne des Wortes: Es braucht Mut zum bewussten Menschsein. Freilich könnten wir auch einfach vor uns hinvegetieren und alles von uns wegdrücken. Aber in der Essenz werde ich mir immer klarer darüber, dass wir als Menschen außerzeitliche Wesen sind, die für die Dauer unseres irdischen Daseins in einen Körper geschlüpft sind. Damit sind wir plötzlich in Raum und Zeit gebunden, damit sind wir endlich. Aber ab und zu spähen wir durch das Schlüsselloch in die Unendlichkeit. Das sind die Glücksmomente – jene Momente, in denen wir aus der Zeit fallen.

Aber diese Momente sind rar. Im Alltag dominiert doch eine Rastlosigkeit, die dazu führt, dass wir nirgendwo und nie mehr ankommen. Stattdessen versucht man, zwei Leben in eine Biografie zu zwängen. Wir sind dann nicht mehr das, was Sie den „Kapitän des Lebens“ nennen, sondern Passagier. Wie lässt sich die Sehnsucht nach Leerlauf, Ruhe und Zeit stillen?
Indem man persönlich Entscheidungen trifft. Wir müssen auch immer wieder loslassen lernen, den Mut zum Loslassen haben, auf die Stimme des Herzens hören. Menschsein ist ein ewiges Werden hin zur Reife. Wir dürfen auch gleichzeitig Vieles sein, aber wir sollen keine Getriebenen sein. Das ist eine Krankheit unserer Zeit.

Woran haben wir uns infiziert?
Das hat viel mit der Ökonomisierung all unserer Lebensbereiche zu tun, denen ich selbst als Liberaler kritisch gegenüberstehe. Da bin ich ein ganzheitlich Liberaler und meine, dass der Markt nicht überall zuständig ist und Gewinn nicht überall die Messlatte sein kann. Viele Bereiche lassen sich nicht in Zahlen gießen. Wir haben es ja alle gemerkt: Es gab schon seit einiger Zeit eine diffuse, aber sehr breite Sehnsucht nach Krise, wir sehnten sie gleichsam herbei, zumindest in der westlichen Hemisphäre. Als hätten wir die Klarheit gehabt, dass es so nicht weitergehen soll, weil etwas nicht stimmt. Die Energie „weg von“ war schon sehr groß und greifbar. Die Energie „hin zu“ ist leider immer noch nicht so klar. Diese Auseinandersetzung werden wir in den nächsten Jahren führen.

Wohin sollen wir?
Nachdem uns das Schicksal jetzt ganz viel aus der Hand geschlagen hat, haben wir den Vorteil, dass wir endlich wieder eine halb leere Hand haben, um neue Dinge anpacken zu können. Jetzt werden wir ausverhandeln müssen, was wir Neues hereinlassen wollen, wofür wollen wir Landebahnen bauen für die Zukunft.

Sind wir, unsere Gesellschaft, unser Wertesystem von der Demokratie erschöpft?
Spannende Frage. Puh – da muss ich nachdenken… Nein, von der Demokratie erschöpft - das glaube ich nicht. Dass uns allzu Vieles zu selbstverständlich wurde, glaube ich aber schon. Wir halten Demokratie, Freiheit und Bürgerrechte, Rechtsstaatlichkeit für selbstverständlich. Aber mit all diesen Qualitäten ist es wie mit der Gesundheit: Wir pfeifen darauf und behandeln sie schlecht bis zu dem Tag, an dem wir sie verloren haben. Und dann ist die Frage, ob es zu spät ist oder wir sie wiederherstellen können. So haben wir viele Grundrechte, Freiheitsrechte, Bürgerrechte eher abfällig angeschaut und fahrlässig behandelt. Und jetzt ist die Frage, ob sie unter den Corona-Opfern sein werden. Wir stehen am Vorabend einer neuen Weltordnung. Das ist offensichtlich.

Wie soll die Welt von morgen aussehen?
Ich wünsche mir, dass wir Schwung mitnehmen für ein ganzheitlichere Weltsicht. Ich wünsche mir zum Beispiel eine Glücksministerin. Manche mögen jetzt sagen, das ist ja Esoterik oder Utopie. Nein! Ist es nicht! Es gibt schon Länder wie Neuseeland, die sagen, wir wollen das Bruttoinlandsprodukt nicht mehr als die allein dominante Steuerungsgröße. Ja, es ist eine relevante Größe – aber es kann ja nicht die relevanteste von allen sein, der wir uns unterwerfen. Weil wenn Sie am Heimweg einen Autounfall haben, dann jubelt das Bruttoinlandsprodukt. Je schwerer der Unfall ist, je größer die Schäden sind, die dann wieder repariert werden müssen, umso besser ist es für unser Bruttoinlandsprodukt. Das kann ja nicht unser Ernst sein, dass uns all die Jahrzehnte nichts Besseres eingefallen ist als zentrales Steuerungsinstrument für unsere Gemeinschaft.

"Kein esoterischer Bullshit"

Aber normalerweise sind Ministerien für etwas zuständig, was konkret vorhanden und uns bewusst ist: Für Wirtschaft, für Soziales, für Familie, für Sport, Kultur oder Umwelt. Wenn Sie ein Glücksministerium verlangen, würde das ja voraussetzen, dass schon sehr viel Glück da ist, das verwaltet gehört. Ist das so? Und wenn: warum merken wir es dann nicht oder wollen es uns nicht zugestehen?
Ja, es ist viel Glück da. Viel Lebensfreude, viel Chancen. Es gibt ja auch die wissenschaftliche Glücksforschung, die Bibliotheken vollfüllt. Das ist kein esoterischer Bullshit, sondern harte Wissenschaft. Ich habe schon 2014 einen neuen Wohlstandsindikator vorgeschlagen – mit 36 Kenngrößen integriert, dabei Umwelt, Wirtschaft, Familie, Gesundheit, Soziales, Rechtsstaatlichkeit und Bildung. Dann sind wir in einer ganz anderen Logik und nicht mehr allein diesem schneller, weiter, höher folgend. Wobei ich aber ein sozialökologischer Marktwirtschaftler bin, kein Marxist.

Das klingt aber schon manchmal so. Weil die Kritik am Effizienzwettlauf, an der größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich, an der Monopolstellung von Großkonzernen, an der ungleichen Verteilung von Vermögen – das alles steht im „Kapital“ von Karl Marx. Hatte Marx gar recht gehabt?
Ja, Marx hat in Vielem recht – aber nicht in allem. Und vor allem: Marx ist nicht gleich der gelebte Sozialismus. Die marxistischen Selbstkritikrunden, die unter Mao in China eingeführt wurden, waren super. Das war ja nichts anderes als das, was wir noch als Schülervertreter in den 1990er-Jahren in gruppendynamischen Seminaren gemacht haben: einander Feedback und Wertschätzung zu geben. Nur leider haben sich die maoistischen Selbstkritikrunden innerhalb weniger Jahre in teuflische Unterdrückungsinstrumente verwachsen.

Ihre Alternative?
Ich habe einen wertebasierten, aber keinen ideologisch-dogmatischen Weltblick. Ideologischen Dogmatismus halte ich für grundfalsch, aber Wertebasierung für extrem wichtig, weil man sich ja nicht einfach im luftleeren Raum bewegen kann. Es braucht einen Maßstab, eine Orientierung. Natürlich hoffe ich, dass wir die internationalen Konzerne, vor allem die digitalen Konzerne, in die Pflicht nehmen. Ich hoffe, dass der Druck angesichts der riesigen Budgetlöcher, die wir in allen Ländern bekommen werden, so groß ist, dass es endlich gelingt, diese Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Es kann doch nicht sein, dass unsere Klein- und Mittelbetriebe bergauf Fußballspielen müssen und so ein Tor schießen sollen. Amazon, Google und wie sie alle heißen gehen mit null bis acht Prozent Steuern nach Hause und unsere Bäcker, Tischler, Unternehmensberater oder Masseure werden ausgequetscht. Das ist nicht fair! Da hat der Politik die Entschlossenheit und der Mut gefehlt.

Haben Sie Angst um Europa?
Angst nicht, aber große Sorge, weil Europa neue Formen der Kooperation finden und sich darin rasch bewähren muss. Sonst verliert es den Rückhalt in der Bevölkerung und wird zerbrechen. Mein Eindruck war immer, Europa braucht sieben Krisen. Jetzt sind wir in der dritten Krise. Ich glaube, wir werden noch viel tiefer in die Sackgasse hineinfahren müssen, in der wir uns schon befinden, wo die Regierungschefs mit besonderer Fahrlässigkeit und Ignoranz dieses Gemeinschaftsprojekt verraten. Da wird so getan, als sei die EU schuld. Aber verraten wird die EU von den Regierungschefs, die in ihrer nationalen Machtlogik Kleingeld sammeln. Das ist populär in der Bevölkerung und ich sehe auch noch keinen Umkehrtrend. So wird diese Tragödie noch weiter gehen, während wir zum Spielball anderer Mächte werden, die es nicht gut meinen mit uns. Und dann, nach sieben Krisen, wird eine Republik Europa aufstehen. Da werden nicht mehr 27 Länder dabei sein, aber viele Menschen. Hoffentlich ist es dafür dann nicht zu spät, sonst werden unsere Enkel in Peking und Schanghai die 24-Stunden-Pflege machen. Ich will diese Arbeit nicht geringschätzen, im Gegenteil. Ich wünsche unseren Enkeln aber andere Möglichkeiten.

"Müssen weg von der reinen Ratio"

US-Biologe Edward Wilson hat die These aufgestellt, dass wir in einer „Star Wars Zivilisation“ leben würden: Mit Instinkten aus der Steinzeit, Strukturen aus dem Mittelalter und einer Technologie aus der Zukunft. Und das alles passe eben irgendwie nicht zusammen. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Ja. Die Naturwissenschaften haben uns unglaublich weit getragen, haben uns Wohlstand gebracht und ein langes Leben. Aber sie haben das Hirn und die Ratio für absolut erklärt. Das Herz und der Bauch sind an den Rand gedrängt worden. Wenn wir die nächsten 150 Jahre so weiter machen, sind wir überflüssig. Dann wird es die Menschen auch evolutionär nicht mehr geben, weil uns die Künstliche Intelligenz in Sachen Rechenleistung haushoch überlegen sein wird. Aber wir haben ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal: nämlich die Kombination aus Hirn, Herzensenergie und Bauchgefühl, der Intuition. Ein glückliches Leben ist nur möglich, wenn ich diese drei Sphären integriere. Es gibt supergescheite Menschen, die herzlos sind und sich selbst nicht mögen und sozial daneben liegen. Das zeigt, dass uns die Gehirnleistung allein nicht glücklich macht, genauso wie uns Geld alleine nicht glücklich macht.

Was also tun?
Wir müssen weg von der reinen Ratio, hinein in ein transrationales Bewusstsein, in dem die Ratio immer noch wichtig ist, wir aber wieder stärker Zugang finden zu den anderen Aspekten menschlichen Lebens. Ich bin mir sicher, dass ein wesentlicher Teil der Krankheiten, die uns plagen, damit verschwinden würde. Weil die Zunahme von mentalen Krankheiten hat natürlich damit zu tun, dass all unsere Systeme völlig einseitig ausgerichtet sind. In der Schule wird nichts davon unterrichtet, obwohl wir in der Wissenschaft schon klare Evidenz haben, dass es da noch mehr gibt als das, was wir jetzt schon messen können. Man muss sich trauen, über die bestehende Erkenntnis hinauszudenken. Auch Einstein hat gestanden, dass er die größten Erkenntnisse aus der Intuition gefasst hat – und erst dann mit der Ratio nachvollzogen hat. Es braucht einfach einen ganzheitlicheren Zugang.

Muss in einer Welt, die zunehmend lauter und schriller wird, auch das Gute und Richtige lauter und schriller – jedenfalls radikaler - werden, um noch aufzufallen?
In jedem Menschen wohnt Licht und Schatten. Dass man manche zu hundert Prozent verurteilen muss und die anderen zu hundert Prozent Heilige sind, diese Ansicht habe ich nie geteilt. In den nächsten Jahren, in denen so viel Neues wachsen wird, wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg, sind wir eingeladen, in unserem persönlichen Leben und gesellschaftlichen Miteinander das Licht zu füttern. Damit dieses wächst und nicht das Dunkle.

Sie haben bei Ihrer Abschiedsrede im Parlament mehr Wertschätzung eingemahnt. Sie fehle im politischen Alltag, sei zumindest zugeschüttet von Häme und Geringschätzung. Gilt diese Vermisstenanzeige noch?
Ja, die gilt. Die Politik ist ein sehr verletzendes Feld. Es gibt wenig Branchen, in der die Menschen in der Früh aufstehen und gleich überlegen, was kann ich heute meinen Mitbewerbern an Schmerzen zuführen. Da fließt relativ viel negative Energie. Das macht Systeme natürlich krank. Ich halte Wertschätzung für einen unabdingbaren Wert in einer Gesellschaft. Ohne Wertschätzung im Sinne eines Grundrespekts für mein Gegenüber verliere ich die Basis für ein Grundvertrauen, das wir brauchen, um uns auch gemeinsam als Gesellschaft organisieren zu können. Ohne Wertschätzung gibt es keine Gemeinschaft, ohne Gemeinschaft gibt es keine großen Leistungen. Wir leben als Menschen in Wettbewerb und Kooperation. Es ist weder der Wettbewerb böse, noch kann alles allein über Kooperation gehebelt werden. Wir brauchen den Wettbewerb um die beste Idee. Er muss aber nach Grundregeln ablaufen, auf die wir uns wechselseitig verlassen können. So machen wir das ja auch im Sport. Kooperation und Kompetition – mit klaren Regeln. Wenn wir uns im Fußball nicht mehr auf irgendwelche Grundlagen verlassen können, dann wird Fußball zum Krieg.

Aber den gibt es doch schon: Es herrscht ein Krieg des Geldes.
Oft ja, aber es gibt ab und zu auch Heldengeschichten, dass der David gegen Goliath gewinnt. Auf Basis fairer Regeln.

Daran müssen Sie als Vorarlberger glauben.
Jaja (lacht). Aber Geld ist nicht alles. Das Miteinander kann man sich nicht kaufen, das gibt es nicht in Kübeln im Baumarkt. Auch die Glücksforschung sagt, dass Gesellschaften, die das Miteinander gut kultivieren, ein höheres Glückslevel haben.

Wenn die Regierung beschließen würden, einen parteiunabhängigen Glücksminister installieren zu wollen und Sie fragen würde: Würden Sie ja sagen?
Nein. Da gibt es Berufenere. Außerdem sollte es meines Erachtens eine Frau sein. Und drittens habe ich in meiner Familie die klare Vereinbarung, dass ich nach sieben Jahren in der Politik die nächsten sieben Jahre für sie präsenter bin. Sie sind auch meine Kraftquelle, wenn ich sie verbrauche, kann ich auch kein guter Politiker sein. Deshalb schließe ich es für die nächste Zeit, in der die Kinder noch in der Schule sind, aus.

Da schwingt ein „aber“ mit. Was ist danach?
Darüber hinaus kann ich nichts sagen. Ich kann nicht sagen, wie mein Leben in acht Jahren aussieht. Ja, ich bin ein politischer Kopf. Ich kann auch als Autor gut politisch tätig sein, es ist nicht so, dass ich mich amputiert fühle.

"Applaus als Koks für die Seele"

Warum erklären uns Politiker eigentlich immer nach ihrem Ausscheiden aus der Politik, wie es richtig gehen würde? Heerscharen von Ex-Kanzlern und -Ministern sagen uns, wie Start-ups, ein Staat, die EU, die Weltwirtschaft wirklich funktionieren würde. Und jetzt kommen auch noch Matthias Strolz daher und erklärt uns, wie das ganze Leben wirklich funktioniert. Woher kommt dieses postpolitische Sendungsbewusstsein?
Hm,… ich glaube, das liegt an der Persönlichkeitsstruktur, in den Genen. Wenn man in seinem Wesenskern eine Neigung hat, stärker mit der Gemeinschaft verbunden zu sein, dann kann man davon nie ablassen. Natürlich gibt es auch die Abrisskanten, an denen ich mich hart prüfen muss, ob es um mein Ego geht, um den Auftritt und Applaus? Wie sehr man von Aufmerksamkeit abhängig ist, wie sehr man den Applaus als Koks für die Seele braucht? Und mir ist auch klar, dass manche sagen, den haben wir so notwendig gebraucht wie einen dritten Ellenbogen oder einen Kropf – aber die sind nicht mein Maßstab. Wenn man seine schöpferische Aufgabe darin sieht, für das große Ganze auf diese Art einen Beitrag zu leisten, dann hat man auch die Pflicht es zu tun. Da bin ich in der biblischen Metapher: Du musst Deine Talente auch bewirtschaften, sonst versündigst Du Dich. Ich kann in Zeiten wie diesen nicht einfach sagen, es geht mich die Welt nichts an.

Weil man das Leben nicht schwänzen darf, wie Andre Heller meint?
Genau. Ungelebtes Leben vergiftet. Man muss sich entfalten können, sonst macht es einen auch krank und man geht ein daran. Ein Kind, das seine Talente nicht entfalten kann, ist das traurigste Bild überhaupt. Es ist die eine große Einladung des Lebens: In die Entfaltung zu reifen und zu wachsen. Das ist nie vorbei, dauert bis zum Tod. Der Tod ist wohl die größte Lernerfahrung für uns Menschen; und der beste Coach des Lebens.

Weil er uns verpflichtet, das Leben zu genießen?
Unter anderem. Aus der Perspektive des Sterbebetts erkennen wir unsere Prioritäten klarer. Dort fragen sich die Menschen dann, ob sie genügend Liebe gegeben und bekommen haben, ob sie ein authentisches Leben gelebt haben. Wenn man drei Mal mit Nein antworten muss, ist das bitter. Deshalb: Ziehen wir doch diese Fragen vor! Stellen wir sie uns jetzt, weil sie der Schlüssel für ein glücklicheres Leben sind.