In ihrer Rolle als seelengute Pitzkele verstört sie alle. Das war bei den Salzburger Festspielen so und ist nun am Wiener Akademietheater nicht anders. Denn: Bei der Dramatisierung von David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“ sitzt Mavie Hörbiger eingangs im Publikum, ihr Handy klingelt. Mehrmals. An diesem Punkt droht der Abend zu kippen. „Die Leute regen sich so unglaublich auf, wenn das Telefon läutet. Jedes Mal. Mir ist das sehr peinlich. Ich wurde einmal fast geschlagen, der Mann war so außer sich“, erzählt die Schauspielerin und dabei funkeln ihre großen runden Augen. Die dunkle Stimme füllt die hohen Räume im Burgtheater in atemberaubender Schnelle mit Sätzen.

In eine Dynastie geboren


Dort steht die gebürtige Münchnerin seit knapp zehn Jahren auf der Bühne. Seit 2011 ist sie fixes Ensemblemitglied an jenem ehrwürdigen Haus, an dem schon ihr Opa Paul Hörbiger engagiert war. Genauso wie aktuell ihr Mann, Kammerschauspieler Michael Maertens, ihre Großtante, Doyenne Elisabeth Orth, ihr Bruder, Hans Hörbiger (Requisite) und dessen Frau Brigitte (Maske). Die Liste der Verwandten der berühmten Schauspieldynastie ließe sich noch lange fortsetzen. Mavie ist die Tochter von Tommy – Schauspieler, Lokalbesitzer, Textdichter u. a. des Udo-Jürgens-Hits „Merci, Chérie“ – und Gaby Hörbiger. „Ich hatte großes Glück, dass meine Eltern mich schon früh ins Theater mitgenommen haben“, erzählt sie. „Ich mag die Ruhe, aber auch die Aufgeregtheit. Dass alles ein bisschen staubig riecht, und nach Samt.“


Die Burg sei mittlerweile zur Heimat geworden. Wie Wien. „Es war immer ein spezieller Ort, mein Vater ist ja Wiener gewesen, auch ein Sehnsuchtsort.“ Nachsatz: „Seitdem ich hier bin, habe ich zwei Kinder geboren und beide Eltern verloren. Das sind einschneidende Erlebnisse im Leben. Das kann mir keiner nehmen.“

Brilliantes Spiel: Tobias Moretti und Mavie Hörbiger im "Jedermann"
Brilliantes Spiel: Tobias Moretti und Mavie Hörbiger im "Jedermann" © APA/BARBARA GINDL


Genauso nicht wie den Zuschauern die Bühnenerlebnisse mit ihr: Sie sahen die 39-Jährige in den letzten Jahren als scharfzüngige Zofe Smeraldina in „Diener zweier Herren“, als schlaue Närrin Akulina in Tolstois „Die Macht der Finsternis“ oder – furios – als schwindsüchtige Werke im „Jedermann“ am Salzburger Domplatz. Und seit der TV-Serie „Arme Millionäre“ regelmäßig in Film und Fernsehen.

Die #MeToo-Debatte und Kušej

Martin Kušej, neuer Burgtheater-Direktor ab 2019, hat den Vertrag der vielschichtigen Schauspielerin für ein Jahr verlängert. Mehr noch: „Er hat vor uns allen gesagt, dass er den Lohn von Frauen an jenen von Männern angleichen werde. Dafür hat er großen Applaus bekommen.“ Ein starkes, aber notwendiges Zeichen. Noch immer verdienen Frauen am Theater weniger als die männlichen Kollegen.
Die #MeToo-Debatte finde sie gut und wichtig und notwendiger denn je. Aber: „Man müsste jetzt anfangen, darüber zu sprechen, was man machen kann: Wie gehen wir damit um? Was verändern wir? Jetzt!“, fordert sie auf. „Die gesamte Theatergeschichte ist komplett aus der Sicht weißer Männer erzählt – da bin ich nicht die Erste, der das auffällt“, sagt Hörbiger.

"Das ist verletzend"

Männer in ihrem Alter spielen noch den Hamlet oder den Prinzen von Homburg. „Bei mir sind es dann schon die Ammenrollen“, sagt sie und lacht. Es ist kein freudvolles Lachen.
Als Ungerechtigkeit stoßen ihr auch andere Dinge auf: „Was das für eine Rolle spielt, dass ich zwei Kinder habe, was bei einem Mann überhaupt keine Rolle spielt.“ Und der nach wie vor schwierige Umgang mit Kritiken: „Ich werde oft als die Hagere, die Magere beschrieben. Das ist verletzend. Das wäre für jede Frau und jeden Mann verletzend, wenn man darauf reduziert wird, wie man aussieht. Ich bin halt nun mal so.“


Ab morgen steht sie in Berlin für das ZDF-Drama „Aber ich liebe dich nicht“ an der Seite von Fabian Hinrichs und Fritz Karl vor der Kamera. Worauf sie sich diese Saison an der Burg freut: auf die Zusammenarbeit mit dem jungen Regiestar Simon Stone in „Medea“ – Premiere ist im Dezember. „Ja ich fühle mich privilegiert, absolut. Wie es schon die ganze Zeit läuft. Man muss ja nur einmal schauen, wo wir gerade sitzen“, sagt sie noch, bevor sie davoneilt, um ihre Kinder abzuholen