Die Hospiz-Bewegung wurde gegründet, um Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten. „Da sein, am Ende des Daseins“, ist das Motto. Ruth Mayer ist eine dieser Hospiz-Begleiterinnen. Seit 2011 ist sie durchgehend beim Hospizteam in St. Stefan ob Stainz tätig. Ehrenamtlich. Wie fast alle in der Hospiz-Bewegung.
Ein- bis zweimal die Woche besucht sie Menschen, die dem Tod nahe sind, oder deren Angehörige, wenn diese mit der Situation nicht mehr zurechtkommen und jemanden zum Reden brauchen. Die Hauptaufgabe der Hospiz-Mitarbeiterinnen ist zuhören, da sein, eventuell Trost spenden. Das Ende des Lebens beinhalte zwar viele Konjunktive, sagte ein kluger Mensch einmal, aber auch Hoffnung. Das Wort Hospiz leitet sich vom lateinischen hospitium ab und bedeutet Herberge.
Meistens sind es alte Menschen, die an der Ausfahrt ihres langen Lebens stehen, die Ruth Mayer besucht. Manchmal sind es aber auch deren Angehörige, denn auch die können in der Rushhour des Lebens vom Highway geschleudert werden und brauchen mitunter jemanden, „wenn sie nicht mehr wissen, wohin mit ihrer Trauer“, wie es Ruth Mayer ausdrückt.
Die Trauer über einen schwerkranken oder verstorbenen Menschen gehe zwar nie mehr weg, weiß die Hospiz-Expertin, aber sie verändere sich doch. Es sei wie bei einem Blatt Papier, auf dem ein dunkler Kreis aufgemalt ist. Das Blatt bleibe immer das Blatt, aber der dunkle Kreis werde mit der Zeit doch etwas kleiner.
Und manchmal – und das ist das Herausforderndste an ihrer Hospiztätigkeit – wird Ruth Mayer auch zu sterbenskranken Kindern gerufen. Bei einem dieser Kinder zum Beispiel arbeitete die Niere nicht, ein anderes kämpfte gegen seine Krebserkrankung.
Selbst drei Kinder verloren
„Sterbenskranke Kinder sind das Härteste. Das geht einem so nah. Das kann ich gar nicht in Worte fassen“, sagt die dunkelhaarige Frau, die selbst Mutter von drei erwachsenen Kindern ist. In Österreich leben rund 5000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer lebensverkürzenden Erkrankung. „Manchmal werden wir Hospiz-Mitarbeiterinnen aber auch zu Hilfe gerufen, weil ein Geschwisterkind mit der Erkrankung von Bruder und Schwester nicht zurechtkommt“, erklärt die 60-Jährige. „Das Leben bringt uns immer wieder in Situationen, die man sich einfach nicht vorstellen kann. Und so individuell wie jeder Einzelne ist, ist auch der jeweilige Umgang mit Trauer“, sagt sie.
Verlust und Tod kamen aber auch früh in Ruth Mayers Leben. Sie war erst 29, als ihr erster Mann starb. Außerdem arbeitete sie viele Jahre in der Administration der Rehabilitationsklinik in Tobelbad: „Letztlich geht es auch in der Rehaklinik um Verlust und um Trauer“, sagt sie. Wer nicht mehr richtig gehen könne oder Hand oder Bein verloren habe, müsse damit erst einmal zurechtkommen.
Ruth Mayer hat aber auch drei Kinder verloren: „Meine Sternenkinder“, sagt sie. Bei einem hörte das Herz noch im Mutterleib zu schlagen auf, die Wehen wurden eingeleitet, sie musste ihr totes Baby auf die Welt bringen. „Ich denke schon, dass ich bei der Hospiz gelandet bin, weil der Tod in meinem Leben immer sehr präsent war“, vermutet sie. Der Tod habe gern hinter einer Ecke gelauert, um blitzschnell auftauchen zu können. Oder, wie es Arno Geiger in seinem Roman „Der alte König in seinem Exil“ ausdrückt: „Die Dinge schlichen sich ein wie in der Bauernsage der Tod, wenn er draußen auf dem Gang mit seinen Knochen klappert, ohne sich zu zeigen.“
Bis zum letzten Atemzug
Vielleicht kann Ruth Mayer, die so unglaublich kraftvoll und positiv wirkt, anderen aber auch Mut machen, weil sie sich selbst immer wieder ermutigen musste. „Allerdings habe ich schon in der Schulzeit eine Arbeit über Elisabeth Kübler-Ross geschrieben“, erklärt sie. Die gebürtige Schweizer Ärztin, die an US-Universitäten lehrte, war eine Pionierin der Sterbeforschung.
Die Hospizarbeit führt Ruth Mayer klar vor Augen, worauf es im Leben wirklich ankommt. Manchmal treffe sie auch Menschen, die traurig über ihr „ungelebtes Leben“ seien, sagt Ruth Mayer. Dabei betrauerten diese Menschen aber nicht die nicht gemachten Weltreisen oder die nicht gebauten Häuser: „Sie beklagen eher, dass sie zu viel gearbeitet und sich zu wenig mit lieben Menschen getroffen haben.“ Es seien die scheinbaren Kleinigkeiten, Alltäglichkeiten, die das Leben ausmachen und es bereichern würden.
Bei manchen Menschen war Ruth Mayer bis zum letzten Atemzug dabei: „Das ist ein ganz besonderer Moment, der ganz tief geht. Einmalig wie der Moment der Geburt.“ Für sie sei Hospiz nicht Sterbebegleitung, sondern Lebensbegleitung bis zum Ende. Die Zeit, die man mit einem Sterbenden verbringt, sei letztlich auch tröstend: „Ich glaube, dass die Menschen noch viel mitkriegen. Wir wissen alle nicht, was kommt. Danach.“
Und wenn ihr doch einmal alles zu nahe gehe, habe sie den Vorteil, dass hinter ihrem Haus gleich der Wald beginnt. Ihr elfjähriger Labradormischling „Cara“ freue sich sehr auf die Spaziergänge: „Nach einer Stunde im Wald ist die Kraft wieder da.“ Für jede Hospiz-Mitarbeiterin und jeden -Mitarbeiter gibt es außerdem Supervision. Bereits in der Grundausbildung, die alle machen müssen – „sechs Monate Theorie, aufgeteilt auf ein Wochenende pro Monat und 40 Stunden Praktikum“ – habe sie gelernt, sich abzugrenzen.
Bei der Hospizarbeit gehe es zwar in erster Linie darum zu geben, nämlich Zeit und Aufmerksamkeit, „man bekommt aber auch viel zurück“, sagt Ruth Mayer, die kürzlich auf ein Zitat stieß, das für sie gut ausdrücke, was Hospiz ist: „Das Herz muss Hände haben, und die Hände müssen ein Herz haben.“