Ganz allein oder besser noch in trauter Zweisamkeit vor dem weltberühmten Klimt-Gemälde „Der Kuss“ im Oberen Belvedere zu stehen, fühlt sich nicht nur für Kunstinteressierte fast wie ein Lotto-Sechser an. Doch heutzutage ist dieser Luxus Alltag. „Vor Corona reichten die Warteschlangen oft weit in den Schlossgarten und ich hatte alle Hände voll zu tun, Streit um ungestörte Selfie-Plätze in allen Sprachen der Welt zu schlichten“, erzählt Livia, Mitarbeiterin der Aufsicht im Museum.

Waren es 2018 noch rund 13 Millionen Besucher, die sich die üppigen Quadratmeter der rund 100 Museen in Wien teilten, so ist es im Auf und Zu des Coronajahres nur noch ein kleiner Bruchteil davon. Das Positive daran für das derzeitige Publikum: Fast alle Museen sind (noch bis 26. Dezember) geöffnet und pflegen neben vorbildlichsten Sicherheitsmaßnahmen eine herzliche Willkommenskultur.

Wenn man im Museum die Muße hat und einen die Muse küsst
Wenn man im Museum die Muße hat und einen die Muse küsst © RRK

Wiens Tourismusdirektor Norbert Kettner bringt die aktuelle Synergie so auf den Punkt: „Kunstliebhaber aus Österreich haben momentan aufgrund der geltenden Sicherheitsbestimmungen besonders viel Platz für Kulturgenuss und unterstützen gerade jetzt mit einem Besuch die so wichtigen Institutionen.“ Denn Wien ohne offene Museen ist wie ein „Einspänner“-Kaffee ohne Schlagobershäubchen.

Spannendes in entspannter Atmosphäre wird reichlich geboten – ohne Gefahr, dem imaginären „Babyelefanten“, nein, nicht einmal dem ausgewachsenen Muttertier auf die Füße zu treten. „Der Besuch ist sehr sicher, alle fünf bis zwölf Minuten wird die Raumluft in den Galerien komplett ausgetauscht“, sagt Museumsleiter Klaus Albrecht Schröder. „Wir präsentieren derzeit mit der Essl Collection in der Albertina Modern und ,Schwarz Weiß & Grau‘ in der Albertina Highlights aus unseren Sammlungen. Beide mit großformatigen Werken, die allein ganz kontemplativ oder gemeinsam als Familie zu betrachten ein wunderbares Erlebnis sind.“

Beethoven steht unter der Kuppel der Nationalbibliothek im Mittelpunkt
Beethoven steht unter der Kuppel der Nationalbibliothek im Mittelpunkt © Österreichische Nationalbibliothek

Richtig Luft holen unter der Maske kann man bei der Ausstellung „Beethoven. Menschenwelt und Götterfunken“ unter der 30 Meter hohen Kuppel des gigantischen Prunksaals der Nationalbibliothek. Für das erhebende Gefühl eines einmaligen Tête-à-Tête mit ganz großer Kunst – zum Beispiel mit Pieter Bruegels berühmtem Gemälde „Turmbau zu Babel“ im weitläufigen Kunsthistorischen Museum – hält man allerdings freiwillig gerne kurz den Atem an.

„Wir wissen, wie man mit psychischen Herausforderungen zurechtkommt, und freuen uns sehr, unsere schönen Räume nun zeigen zu dürfen“, meint voller Zuversicht Peter Nömaier vom äußerst gelungen renovierten und erst im August wiedereröffneten Sigmund Freud Museum. Man fühlt sich in den ehemaligen authentischen Räumlichkeiten des Begründers der Psychoanalyse sofort „in medias res“ und darf sich über eine laienfreundliche und dennoch sehr anspruchsvolle Aufarbeitung seines Lebens und Werkes freuen.

Ein Blick in das Wartezimmer von Sigmund Freud
Ein Blick in das Wartezimmer von Sigmund Freud © Hertha Hurnaus/Sigmund Freud Privatstiftung

Volle Möbelhäuser in Coronazeiten – schön und gut. Der wahre Tempel der Wohnkultur ist mit 4500 Quadratmeter Fläche, 6300 Exponaten und 61.000 guten Stücken im Depot der wohl imposanteste Geheimtipp der Museumsstadt: das Möbelmuseum. Einst als k. u. k. Möbellager die „Rumpelkammer der Monarchie“, zählt es heute zu den größten Sammlungen der Welt. Der gigantische Bogen reicht 300 Jahre zurück und bis in die Gegenwart.

Im Hofmobiliendepot kann man anhand von Sesseln auf eine Zeitreise gehen
Im Hofmobiliendepot kann man anhand von Sesseln auf eine Zeitreise gehen © Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H./Severin Wurnig

Brisant aktuell lädt das Literaturmuseum zur Ausstellung „Utopien und Apokalypsen. Die Erfindung der Zukunft in der Literatur“. Es stellt sich damit einem großen Fragezeichen – speziell auch in ihrer „Coronabibliothek“. Zuversicht mag in der gerade erst eröffneten Ausstellung „Coronas Ahnen“ der Kaiserlichen Wagenburg Wien aufkommen. Sie möchte einen Beitrag dazu leisten, die aktuelle Situation durch den Blick auf die Vergangenheit zu verarbeiten.

Die Azteken regieren derzeit das Weltmuseum
Die Azteken regieren derzeit das Weltmuseum © KHM-Museumsverband

Welche Höhen und Tiefen Österreich in den letzten 100 Jahren durchlebte, zeigt ausführlich das ehrwürdige „Haus der Geschichte Österreich“ am Heldenplatz. Die positive Erkenntnis daraus, dass alles irgendwann vorüberging, tut in Tagen wie diesen einfach gut.
Packt einen der Situation zum Trotz das Fernweh, so begibt man sich zu guter Letzt am besten ins atemberaubende Weltmuseum, wo derzeit die „Azteken“ die Hauptrolle spielen. Denn die besten Reisen, die sind ohnehin im Kopf.

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