Die letzten Höhenmeter von Bad Hofgastein nach Böckstein haben es in sich. Um den Zug, der uns durch den Berg bringen soll, zu erreichen, müssen wir noch einmal ordentlich in die Pedale treten. Im Wiegetritt stemmen wir uns samt Gepäck gegen die Schwerkraft – und das ist gar nicht so leicht angesichts der langen Tagesetappe, die wir bereits in den Beinen haben. Etwas mehr als 120 Kilometer sind eine respektable Leistung für den ersten Tag. Müde erreichen wir den Zug in letzter Minute. Geschafft!

Unsere Entscheidung, mit dem Rad von zu Hause ans Meer zu fahren, haben wir auf jeden Fall nicht bereut. Angefangen hat alles mit einer leichtfertigen Aussage unseres 14-jährigen Sohns Leo. „Ich möchte mit dem Rad ans Meer fahren!“ Auf das Auto zu verzichten sei gut fürs Klima. Außerdem wäre so eine Reise richtig cool und auch ein kleines Abenteuer. Warum eigentlich nicht?

Auf dem Ciclovia-Alpe-Adria-Radweg Richtung Süden
Auf dem Ciclovia-Alpe-Adria-Radweg Richtung Süden © HERBERT RAFFALT

Und so folgte der spontanen Eingebung eine begeisterte Phase der Planung: Unsere Wahl fiel auf den Ciclovia-Alpe-Adria-Radweg, ein gemeinsames Projekt der Regionen Salzburg, Kärnten und Friaul-Julisch Venetien. Der offizielle Startpunkt ist Salzburg, von wo es über Hallein, Werfen und Schwarzach Richtung Süden geht. Das Abenteuer kann beginnen.

  • Tag 1. Durch das Ennstal folgen wir dem Enns-Radweg über Radstadt bis nach Eben. Hier geht es dann für einige Kilometer entlang der Straße, bis unsere Route nach Bischofshofen in den Ciclovia-Alpe-Adria-Radweg mündet. Von Bischofshofen bis Schwarzach geht es gemütlich entlang der Salzach. Ab Schwarzach wird es dann anstrengend. Steil schraubt man sich in engen Kurven hinauf zum Speicherbecken und dann am Hang entlang zum Eingang ins Gasteiner Tal. Zunächst geht es durch einen 1,5 Kilometer langen Tunnel, danach fahren wir ohne nennenswerte Steigungen weiter bis zum Kurort Bad Hofgastein. Vorbei am Gasteiner Wasserfall wird es noch einmal empfindlich steil, bis wir an der Tauernschleuse in die Tauernbahn zwischen Böckstein und Mallnitz einsteigen.
Die Route vom Ennstal bis nach Grado
Die Route vom Ennstal bis nach Grado © KLZ/Infografik
  • Tag 2. Von Mallnitz in Kärnten rollen unsere Bikes rasant hinunter bis nach Obervellach, wo der Radweg durch das Untere Mölltal führt. Die Landschaft ist beeindruckend. Es geht vorbei an der mächtigen Reißeckgruppe im Norden und der Kreuzeckgruppe im Süden. Wir passieren mit dem Danielsberg die älteste Kultstätte Kärntens. Weitere Sehenswürdigkeiten sind die Barbarossa-Schlucht sowie das Schloss Porcia in der Bezirkshauptstadt Spittal an der Drau. Ab hier geht es überwiegend flach auf dem Drauradweg hinunter nach Villach. Auf dieser Etappe verläuft der Radweg meist direkt am Ufer des Flusses. Nach einem Zwischenstopp in Villach geht es entlang der Gail auf der Südseite der Villacher Alpe zum Naturpark Dobratsch. Über Arnoldstein nähern wir uns der italienischen Grenze, die bei Thörl-Maglern überquert wird. Jetzt trennen uns nur noch wenige Kilometer von Tarvis, dem Eingang ins Kanaltal.
Ein Stück des Weges geht es entlang der Drau
Ein Stück des Weges geht es entlang der Drau © HERBERT RAFFALT
  • Tag 3. In Tarvis im italienischen Kanaltal beginnt der wohl spektakulärste Abschnitt der gesamten Reise. Auf knapp 50 Kilometern folgt der Radweg der alten "Pontebbana“-Eisenbahnstrecke. Hier wechseln sich alte Viadukte der einstigen k. u. k. Bahn, Brücken mit spektakulären Ausblicken und beleuchteten Tunneln ab. Einige der alten Bahnwärterhäuschen wurden zu netten Lokalen umgebaut. Sie laden auf ein kühles Bier, einen Espresso oder ein Mittagessen ein. Spektakulär ist auch der Blick auf den Tagliamento, einen der letzten Wildflüsse Europas. Als willkommener Zwischenstopp bietet sich der Ort Venzone an. Hier sollte man unbedingt ein Frico mit Polenta, ein traditionelles friaulisches Gericht ausprobieren. Nach der Rast steht noch eine 50 Kilometer lange Etappe nach Udine an. Zu Recht müde, aber auch zu Recht stolz über die erbrachte Leistung, erreichen wir am späten Nachmittag die venezianische Altstadt von Udine.
Der Tagliamento, einer der letzten Wildflüsse Europas
Der Tagliamento, einer der letzten Wildflüsse Europas © HERBERT RAFFALT
  • Tag 4. Die Route des letzten Tags ist mit 53 Kilometern die kürzeste. Sie ist gespickt mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten. Faszinierend ist die sternförmig angelegte Festungsstadt Palmanova, nicht umsonst seit 2017 auf der Weltkulturerbeliste der Unesco. Von dort geht es auf einem neuen Radweg entlang der Via Julia Augusta nach Aquileia – die kleine Stadt mit ihrer patriarchalischen Basilika und den archäologischen Stätten ist der letzte Zwischenstopp, ehe wir auf die Zielgerade nach Grado abbiegen. Der erste Blick auf die Lagune entlockt nach so vielen Kilometern im Sattel wahre Freudenschreie. Auf einem schmalen Landstreifen geht es bis ins Stadtzentrum – wir haben es tatsächlich geschafft! Ich beobachte Leo, wie er bedächtig seine Badehose aus den Fahrradtaschen holt, mir sein Rad in die Hand drückt und ins warme Meer springt. Der Wunsch, der der Vater des Gedankens für unsere Radtour war.
Geschafft: Das Ziel in Grado ist erreicht
Geschafft: Das Ziel in Grado ist erreicht © HERBERT RAFFALT
  • Für den Rückweg nach Hause steigen wir in einen Kleinbus mit Radanhänger, den man in Italien Bici-Bus nennt. Ab Udine fährt regelmäßig ein Zug mit einem großen Radwaggon zurück nach Villach. Mit geschafften, aber glücklichen Pedalrittern an Bord.

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