Hamid begrüßt uns herzlich. Der kleine Innenhof in seinem Haus ist lichtdurchflutet. In einem schmalen Raum an der Seite sinken wir zwischen Goldvorhang und Mosaiken in die gepolsterte Bank. Unglaublich, wie ruhig es plötzlich ist.

Eben noch schoben wir uns, eingefädelt in die Menschenschlangen, im Gänsemarsch durch die engen Gassen der Altstadt – der Medina – von Fès. Links und rechts von uns die unzähligen Händler mit ihren nur wenige Quadratmeter kleinen Geschäften voller Waren: lederne Babuschen, bemaltes Porzellan, kunstvolle Lampen aus Messing, geflochtene Körbe, seidene Gewänder, duftende Gewürze, rohes Fleisch. Tausend Eindrücke, Stimmengewirr und dazu die „Balak!“-Rufe der sich eilig im Zickzack Durchschiebenden mit den voll bepackten Eseln. Doch nur eine Haustür entfernt sitzen wir nun in absoluter Ruhe.

Nezha, Hamids Frau, trägt mit einem aufgeregten Lächeln Tabletts herbei: die typischen Gazellenhörnchen mit Muskat und Orangenblüten, Honigkuchen mit Sesam, Teigtaschen gefüllt mit Mandeln. Wir greifen zu.

Der 75-jährige Hamid zeigt stolz auf das gerahmte Bild an der Wand: seine Eltern, denen er die Hände küsst. Beharrlich schwenkt er die Kanne mit dem Tee, gießt ihn in hohem Bogen in ein Glas und kontrolliert, ob ja kein Kraut mehr mitschwimmt. Der grüne Tee mit Minze, das Nationalgetränk, verträgt keine Eile bei der Zubereitung. Aber jetzt haben wir ja Zeit.

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Zeit zum Durchschnaufen. So viel haben wir an den vergangenen drei Tagen unserer Rundreise schon erlebt. In Marrakesch waren wir zum ersten Mal paralysiert vom geschäftigen Treiben in den engen Gassen der Souks, mit noch viel mehr Geschäften als hier in Fès und dazu hupenden Mopeds statt Eseln.

Durch Casablanca, die Industriemetropole mit sechs Millionen Einwohnern am Atlantik, sind wir vierspurig gebraust, in der adretten Hauptstadt Rabat, dem Königssitz, haben wir beobachtet, wie die Gehsteige gefegt und jeder noch so kleine Schnipsel Müll aufgesammelt wird. In Volubilis wandelten wir zwischen Triumphbogen und 2000 Jahre alten Bodenmosaiken im Alten Rom, ehe wir in der Pilgerstadt Moulay Idriss, gebaut in den Felsen, in einer Art modernem Mittelalter aufschlugen.

Hamid reicht uns ein Glas Tee und greift sich seine Trommel. Früher war er Tischler und Musikant. Wir nippen am Tee, ohne zu ahnen, wie viele unwirkliche Eindrücke an den nächsten Tagen noch auf uns einprasseln werden. Dass wir in einem Wintersportort im Atlasgebirge noch den Schnee von vor zwei Wochen riechen und am selben Tag abends in der Sandwüste von Merzouga auf einem Dromedar in den Sonnenuntergang reiten werden, zum Beispiel.

Ungelenk werden wir uns das letzte Stück zu Fuß die Sanddüne emporkämpfen, und dann ganz still werden, wenn die Sonne zum Abschied die Welt aus Sand in Orange-Gold taucht. Wir werden in einem Nomadenzelt Fladenbrot mit Olivenöl und Dattelsirup naschen, zum ersten Mal das unwirklich satte Grün einer Oase inmitten karger Landschaft bestaunen und durch Kasbahs, jahrhundertealte Lehmfestungen, flanieren, die noch bewohnt sind.

Wir werden vom Bus aus so viele verschiedene Landschaften vorbeiziehen sehen, bis uns gar nichts mehr überrascht, und dann von 2260 Metern Höhe im Atlas wieder zurück nach Marrakesch kurven, schwindlig vor Eindrücken. Marokko schmeckt wie die 32 Gewürze im Ras el Hanout, alle gleichzeitig auf der Zunge – und doch auch einfach nur nach Grüntee mit Minze. Hamid schenkt noch einmal nach. Etwas Zeit haben wir noch.