Die menschliche Zunge verfügt über 2.000 bis 10.000 Geschmacksknospen. Dass auch ich mal dabei bin, meine zwiebelförmige Sensorik auf eine Traumreise zu schicken, spüre ich spätestens jetzt in Südtirol. Hinter mir im Bus unterhält sich ein Pärchen in schönstem Italienisch, das ich nicht verstehe, mir aber das Gefühl gibt, die Sonne würde sofort wieder aufgehen, nachdem sie erst kurz zuvor hinter den Bergen der Dolomiten verschwunden war. Mir wird warm im Dezember. Ich schmunzele.
Ich ziehe meinen Rollkoffer hinter mir her, stapfe in dicken Klamotten die Auffahrt hinauf und betrete schließlich eine großzügige, offen gestaltete Lounge. Das Interior wirkt elegant und hochwertig, die Komposition aus gedeckten Grün-, Grau- und Erdtönen ist angenehm zurückhaltend, die Beleuchtung schön dezent. Nach mehr als zehn Stunden Fahrt reduziert mich dieser edle Contemporary-Style auf das Wesentliche: meinen Mantel aufzuknöpfen und den Stress der letzten Tage abzulegen.
Benvenuti im Badia Hill
Michaela Mair begrüßt mich. Sie ist Inhaberin und Sommelière des Badia Hill und lässt mir einen Welcome-Drink servieren, der mit einer Miniatur-Christbaumkugel aus Glas drapiert ist. Aus ihr lasse ich den Saft roter Rüben und Trauben über den Prosecco fließen, rühre mit einem Rosmarinzweig um und genehmige mir ein herb-liebliches Prickeln.
Das Gediegene der Lounge findet sich auf meinem Zimmer wieder und ich mich schon bald in meinem Bett. Als Großstadtflaneur erschrecke ich fast, so still ist es hier drinnen. Und so ziellos verliert sich mein Blick durch die großen Fenster im Dunkel da draußen. Diffus zeichnen sich der Grat eines Berges sowie das matte Weiß seiner Hänge ab und lassen mich auf ein Panorama par excellence am nächsten Morgen hoffen. Und siehe da, da ist es! Breit, hoch und massiv schön thront der Heiligkreuzkofel vor meinen Augen. Minutenlang können sie nicht von ihm lassen, bis sie irgendwann müssen, denn auch Knospen haben ihre Ansprüche. Neugierig gehe ich hinunter ins Bistro, wo ich mir nicht nur die großartige Berglandschaft zu Gemüte führe.
Philosophie des Erlesenen
Puristisch, authentisch, raffiniert und facettenreich: Während bereits das Frühstück eine Reminiszenz an die Südtiroler Küche ist, wird das exquisite Fine Dining des Badia Hill mit seinem kulinarischen Konzept aus Bistro, Fondue-Stube und Porcino-Restaurant vollends erlebbar. Alles hauseigen. Alles mit Fokus auf die Region, Italien und etwas Frankreich, auf naturbelassene und saisonale Produkte und Zutaten, zudem fokussiert auf eine Zubereitungsqualität, die außergewöhnlich ist. Marco Verginer als zweiter Inhaber sowie Chefkoch des Badia Hill steht mit seiner Ehefrau Michaela für eine Philosophie des Erlesenen. Eine Philosophie, die durchaus dazu führen kann, den Fuß gar nicht erst vor die Tür zu setzen, sondern den ganzen Tag im Hotel zu verbringen und sich zu setzen.
Mehr als ein Bistro
Also sitze ich zum ersten Mal auch abends im Bistro. Ein High-End-trainierter Genüssling bin ich zwar nicht, wage aber zu behaupten: So fein habe ich in einem „Bistro“ noch nicht gegessen. Numero 1: „Hausgemachte Cavatelli mit Miesmuscheln – Venusmuscheln – Chili“. Das zarte Fleisch von Mies und Venus harmoniert wunderbar mit dem feinen Biss der Pasta, der leicht nussige, meersalzige Geschmack der Muscheln wird vom dezenten Sticheln des Chilis begleitet. Kein Aroma liegt zu sehr auf, perfekt! Es folgen unter anderem „Rinderfiletspitzen Stroganoff – Sauerrahm – Reis Pilav“ sowie „Karamellisierter Kaiserschmarren – Apfelkompott – Preiselbeeren“. Michaela empfiehlt den jeweils passenden Wein und schenkt ein: Athesis Brut Rosé 2021 von Kettmeir, Petit Manseng 2022 von Franz Haas sowie Cabernet Merlot „Centa“ 2016 von Gert Pomella – mein Favorit, von dem ich mir eine Flasche kaufe.
Die Fondue-Stube
Der exklusive Charakter der Fondue-Stube zeigt sich schon durch die Zahl ihrer Tische. Es sind vier. Caquelon und Rechaud stehen bereit. Südtiroler Käse in zwei Variationen wird hier erhitzt und geschmolzen, nachdem wir uns gesetzt haben und die Beilagen serviert wurden: von Gemüsesticks über Mini-Rösti bis hin zu Ciabatta sowie hausgemachter Wagyu-Salami, deren fein hineinkomponierte Fenchelsamen mich an meine Toskanareisen erinnern. Ich bin überrascht, wie würzig und doch angenehm leicht Fondue-Käse schmecken kann und wie problemlos ich bei aller Rührung mit den anderen Gästen ins Gespräch komme. Ja, Fondue bedeutet immer auch Geselligkeit. Doch zähle ich mich kaum zu jenen Menschen, die sich vor lauter Plauderei am Tisch nicht mehr auf die Köstlichkeiten für Knospen und Gaumen konzentrieren können. Aber irgendwie geht beides sehr gut an diesem Abend, zumal edle Tropfen erneut fließen, etwa ein Sauvignon Voglar 2019 von Peter Dipoli. Abschließend gönne ich mir ein mit hausgemachtem Limoncello verfeinertes Zitronensorbet, das am Tisch zubereitet wurde. Dann verabschiede ich mich. Ich gehe auf mein Zimmer. Und ins Bett. Diesmal mit dem Wissen, mich würde Großartiges vor allem am nächsten Abend erwarten.
Porcino-Restaurant: Best of Mediterrane
Porcino heißt übersetzt Steinpilz. Bodenständig in seiner Natur, wird er das Gold Südtirols genannt. Das liegt daran, dass es den Steinpilz auch in dieser Gegend immer seltener gibt. Marco Verginer und Michaela Mair haben ihn zum Symbol für das Porcino-Restaurant erhoben, um in seinem Namen exklusive kulinarische Gesamterlebnisse zu kreieren – mit einer Vorliebe für traditionelle Zubereitungsmethoden wie Räuchern und Kochen über offenem Feuer.
Das Porcino zelebriert einen klar definierten Stil: Best of Mediterrane. Tomaten, Rosmarin, Fenchel, Zitrusfrüchte, Fisch bis hin zu verschiedensten Käsesorten werden mit alpinen Einflüssen unterstrichen. Dafür sammelt und erntet das Küchenteam viele saisonale Zutaten in Wald und Flur sowie in Gärten. Neben Steinpilzen unter anderem Beeren, Schafgarbe, Klee und Zirbenspitzen, welche zu Honig verarbeitet werden. Wild stammt ebenfalls aus der Region, genauso die Wagyu- Rinder, deren nicht nur edle Teile wie Rücken und Filet wertvoll sind.
Gänge allerfeinster Dinge
Edle Gänge werden im Porcino serviert, die visuell und geschmacklich exquisit sind. Zum Beispiel „Amuse Bouche“: Unter anderem finden ein pochiertes Wachtelei, Carbonaraschaum, gepuffte Spaghetti sowie Speck traumhaft zueinander. Auch Waldchips, Steinpilze, Wacholder, Preiselbeeren und Fichte präsentieren sich als puristisches Naturschauspiel. Ebenso der confierte „Saibling“ mit Wacholderrauch, Kren, Buttermilch, Liebstöckel, süß-sauren Rüben sowie Saiblings-Kaviar. Oder darf es etwas „Reh“ sein? Rehrücken als rosa gebratener Traum verbindet sich mit der seidigen Konsistenz und dem süßlich-fruchtigen Aroma der Portweinsoße. Dazu Markkruste, Topinambur, Bratapfel, Kräutersaitling sowie Wildessenz mit Waldaromen und erneut Topinambur.
Auch hier leisten Weine mehr, als dieses Menü nur zu begleiten, etwa der Cabernet Sauvignon 2016 von Corte Figaretto sowie der Goldmuskateller Sissi Passito 2018 der südtiroler Kellerei Cantina Meran. Und dann wird der Abend auch noch mit einem Wahnsinn abgerundet, der mir fast die Sensorik aus den Knospen zwitschert: „Kürbis & Kastanien“! Ein Dessert aus mariniertem Kürbis! Aus karamellisierten Kastanien! Aus Kastanieneis! Ich bin sprachlos und schmelze dahin, bevor es dieses süßliche Wunder tut.
Selbst wenn ich wollte, ich kann nicht mehr. Möchte meine vier Tage im Badia Hill hiermit beschließen, sie sacken und noch lange in mir wirken lassen. Ich verabschiede mich. Gehe auf mein Zimmer. Und ins Bett. Und weiß mit verlorenem Blick ins Dunkel da draußen, dass man allerfeinste Dinge kaum toppen kann. Aus meinem Schmunzeln im Bus ist ein breites Grinsen im Badia Hill geworden. Wie schön, dass man sich so etwas auch mal verdient hat!
Diese Reportage ist in der neuen Frühlingsausgabe der „ida“ erschienen - dem Lifestyle-Printmagazin der Kleinen Zeitung: ida - ich denke an ...