Lieber Arthur, an was hast du heute Morgen zuerst gedacht – Kaffee oder Kollektion? 

Arthur Arbesser: Lustig, nichts dergleichen! Momentan denke ich beim Aufstehen zuerst an unsere Studio- Baustelle. Wir ziehen demnächst in eine große ehemalige Garage und schaffen dort einen Ausstellungs- und Verkaufsraum, das wird aufregend! Aber es ist noch sehr viel zu tun. 

An welchem Fashion-Projekt arbeitest du gerade? 

Mein größter Luxus und meine größte Freude ist es, immer gleichzeitig an vielen ganz verschiedenen Dingen zu arbeiten. Ich liebe das, so bleibt alles elastisch! Momentan sind wir mitten in der Produktion unserer Sommerkollektion für 2025, die ersten Skizzen und Grafiken für die darauffolgende Kollektion entstehen ebenfalls schon, aber auch Kostüme für die Züricher Oper. Dann gibt es Produkte für Alessi zu gestalten, eine feine, noch geheime Unterwäsche-Kollaboration sowie Zimmer für das Hotel Altstadt in Wien – und an der Uni in Mailand unterrichte ich auch. Naja, und dann eben die Baustelle unseres neuen Studios. Und irgendwas habe ich sicher vergessen. 

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© Alessi S.p.A

Deine aktuelle Herbstkollektion hast du unter anderem einer 84-jährigen Dame gewidmet, die dich als Kind faszinierte. Was hat dich zu ihr zurückgeführt und was verbindet dich heute mit ihr? 

Monika Kaesser hatte das schönste Geschäft in Wien, einen Kunsthandel! So etwas gibts nicht mehr. Eine Schatzkiste, gefüllt mit antiken Gläsern, Schmuck, Silber – alles war immer nur vom Feinsten und auf die eleganteste Art und Weise zur Schau gestellt. Als Kind stand ich immer staunend vor diesen wunderschönen Schaufenstern, und nicht nur das Ausgestellte, sondern auch die besonders schicke Dame darin bewunderte ich. So viel exquisiter Geschmack auf einmal faszinierte mich und blieb eine prägende Erinnerung. Wir trafen uns vor zwei Jahren wieder, ich outete mich als Fan und so entstand eine sehr inspirierende, schöne Freundschaft. 

© Yannick Schuette 

Mit welchen Stoffen arbeitest du am liebsten und warum?

Am liebsten mit bedrucktem Baumwoll-Popeline. Der lässt sich einwandfrei zuschneiden, verarbeiten und die Grafiken kommen gut raus. Wir machen alle Drucke bei uns im Studio – es wird viel gemalt, zerschnitten und zerrissen, dann eingescannt usw. – und schlussendlich in ein Muster verwandelt. Eine herrliche Beschäftigung und ein zutiefst befriedigender Prozess!

Als einer der erfolgreichsten österreichischen Modedesigner lebst du in Mailand, kehrst als gebürtiger Wiener aber regelmäßig in deine Heimatstadt zurück. Inwieweit beeinflussen deine kreativen Wurzeln dein heutiges Schaffen?

Woher man kommt, beeinflusst einen immer, da kann man gar nichts machen. Ich liebe Wien sehr, aber unsere Beziehung funktioniert definitiv besser als Fernbeziehung. Ich komme oft für Projekte, Familie und Freunde hierher zurück. Viele Menschen können in meiner Arbeit etwas Wienerisches erkennen, vielleicht scheint meine Bewunderung für die Wiener Werkstätte durch, eventuell ists auch etwas Altmodisches, oder besser gesagt Zeitloses. Auf irgendeine Art und Weise verarbeite ich wohl meine Wiener Jugend, meine Erinnerungen und Erfahrungen in meinen Kollektionen.

Wie würdest du deine Designsprache heute beschreiben?

Zum einen irgendwie realistischer und pragmatischer, zum anderen aber auch exzentrischer, etwa was die Farben betrifft. Das Schöne am Sich-Weiterentwickeln ist ja auch, dass man immer weniger den vielen Meinungen der anderen Beachtung schenkt, sondern eigentlich nur mehr aufs eigene Bauchgefühl hört.

© Yannick Schuette 

Geometrische Figuren sind ein prägnanter Teil deiner Mode. Im Altgriechischen bedeutet Geometrie in etwa „Vermessung der Erde“. Unsere physische Welt soll damit verstanden werden, um etwa Alltagsprobleme lösen zu können. Gibt es Dinge, die du mit deiner Mode „vermessen“ willst, etwas, wonach du mit deiner Mode suchst?

Puh, ich war in Mathematik so unglaublich schlecht! Und ich bin auch sonst nicht allzu ordentlich oder genau, aber vielleicht „suche“ ich genau deshalb immer nach präzisen Linien und Kanten. Aber Alltagsprobleme will und kann meine Mode sicher nicht lösen, sondern sie soll einfach nur Freude bringen! 

Das Geometrische in deinen Kreationen wirkt mal reduziert und klar strukturiert, dann wieder sehr bunt, fast überbordend. Sieht es so auch in deinem Kopf aus?

Oh ja, da geht es rund! Was leider auch das Ein- und Durchschlafen nicht immer einfach macht. 

Derzeit bist du auch als Creative Council bei Wittmann Möbelwerkstätten tätig. Scheint, als würde deine Leidenschaft für Mode sehr gut mit Interior-Design zusammenpassen! 

Mit meinen bedruckten Stoffen ein Sofa oder einen Menschen einzukleiden – das fasziniert mich gleichermaßen! Ich lebe jetzt schon so lange in Mailand, und auch diese Stadt prägt mich natürlich sehr. Hier geht es neben Mode auch intensiv ums Einrichten, Wohnen und Design. Da lag es auf der Hand, meine Fashion-Welt irgendwann mit der Interior-Design-Welt überkreuzen zu lassen. Seit Langem arbeite ich mit der schwedischen Marke Hem zusammen, für die ich zum Beispiel Wolldecken, Tischsets etc. designe. Für andere Brands habe ich Laminat-Oberflächen, bedruckte Spannteppiche oder einen Stuhl kreiert, der einem Gänseschnabel gleicht, und jetzt kollaboriere ich eben seit einiger Zeit mit Wittmann. Das ist ein wirklich schönes Familienunternehmen – ein echter österreichischer Schatz, wo mit solch Präzision und Hingabe perfekt gearbeitet wird, wie ich es noch nie gesehen habe. Wo auch ganz Neues entsteht, indem zum Beispiel mein Paravent TACT neben Josef-Hoffmann-Klassikern Seite an Seite produziert wird.

© Daniela Trost

Du hast auch Kostüme für das Wiener Staatsopernballett realisiert und jene für den „Rosenkavalier“ an der Berliner Staatsoper. Was fasziniert dich an Oper, Tanz und Theater? Warum nicht nur Mode machen?

Ich liebe Mode. Aber sehr oft stoße ich hier auch auf „heiße Luft“ – ich sage nur Influencer, unnötige Events, auf denen ich mich frage, was eigentlich ausgestellt oder gefeiert wird, und dann natürlich dieser Fast-Fashion-Wahnsinn. Außerdem gibt es momentan so viele Labels, die meiner Meinung nach völlig gleich aussehen. Echtes Talent steht bei der Mode heute teilweise ganz und gar nicht mehr im Vordergrund. Auf einer Opernbühne ist so etwas nicht möglich. Da zählen nur die Qualität, das Können, die Technik und die Performance. Das allein ist schon mal extrem faszinierend. Der enge Kontakt mit den Künstlern ist ebenfalls eine echte Freude und immer ein sehr schöner Austausch. Die Sänger und Tänzer treten mir, der aus einem anderen Berufsumfeld kommt, immer mit sehr viel Respekt gegenüber. Das würde einem in der Mode selten passieren, weil viele glauben, dass sie sowieso wichtiger sind als alle anderen um sie herum.

Österreich soll es an einem ausgeprägten Bewusstsein für Design fehlen. Siehst du das ähnlich und wenn ja, was müsste sich tun, damit sich hierzulande auch Design als Kulturgut entwickeln kann?

Nein, also von richtig fehlen kann nicht die Rede sein! Aber vielleicht ist Ästhetik einigen Menschen in Österreich weniger wichtig als zum Beispiel die Gemütlichkeit – und das ist ja auch vollkommen okay!

© Wittmann Möbelstätten 

Du hast mit internationalen Koryphäen gearbeitet, etwa Giorgio Armani oder Starfotografin Elfie Semotan, du warst Chefdesigner bei Fay etc. Was bedeutet dir heute dein eigener Name?

In erster Linie Freiheit. Die Tatsache, mein eigener Boss zu sein, ist unbezahlbar und macht mich täglich glücklich. Sieben Jahre in einer Riesenfirma wie Giorgio Armani waren sicher eine tolle Schule, auch meine Arbeit als Kreativdirektor und damit Verantwortung für Marken wie Iceberg oder Fay war eine spannende Erfahrung – aber so, wie ich momentan aufgestellt bin, fühlt es sich am besten an! 

Müssen Modemacher eigentlich leidenschaftliche Träumer sein, um etwas bewegen zu können? 

Absolut! Leidenschaft und Träume müssen in großen Mengen vor- handen sein, genauso wie Neugier und Energie! 

© Stefania Zanetti

Was ist das Verrückteste, das du in deiner Fashion-Karriere bisher erlebt hast? 

Da gäbe es wahrscheinlich viel zu berichten, aber was ist eigentlich schon echt verrückt? Okay, das vielleicht: Mit nur einem kleinen Kleidersack bepackt nach L.A. zu fliegen, dort mit Rihanna eine Armani-Anprobe in den Backstage Studios der Ellen DeGeneres Show zu machen, um schon nach circa 26 Stunden wieder zurück in Milano zu sein … das war schon abgefahren! 

Apropos Show: Am Laufsteg sehe ich immer nur in unnahbar-coole Modelgesichter. Warum ist das eigentlich so? Ich meine, beim Betrachten deiner Mode habe ich ja auch Spaß! 

Super, das freut mich sehr! Ach, ich denke, cool sein heißt heute einfach nur, nicht freundlich dreinzuschauen, weil man damit angeblich weniger angreifbar ist. Ich weiß es auch nicht, alles sehr seltsam auf jeden Fall! 

Du verbindest Tradition mit der Moderne, geometrische Formen mit dem Verarbeiten feiner Stoffe, alltagsreale Modekritik mit fabelhaften Kollektionen. Ist das Verbindende ein Teil deines Lebens, eine gewisse Haltung? 

Für einen Teil meines Lebens sicher! Freundschaften und zwischenmenschlicher Austausch sind mir das Allerwichtigste. Ich mag Menschen einfach, ich liebe es, anderen zuzuhören und bin schlicht an anderen interessiert – weit mehr als an mir selbst. So entstehen viele Kollaborationen, die meinen Arbeitsalltag nochmals spannender machen. 

© Henrik Blomqvist 

Wie verbringst du deine Zeit an Weihnachten abseits des Modezirkus? Mit Familie und Freunden? Oder doch mit Kaffee und dem Entwerfen deiner ersten Weihnachtskollektion? 

Ersteres, ich bin mit Familie und Co in Wien! Den Vormittag an Heiligabend verbringe ich noch im Café Korb im ersten Bezirk. Dort zu sitzen und mit meinen Freunden zu plaudern, ist einfach wunderbar – zumal laufend alte Bekannte und weihnachtliche Heimkehrer so wie ich bei der Tür hereinkommen. Später ist dann nichts besser, als abzuschalten und eben nicht an Arbeit zu denken – sondern eher konzentriert den Christbaum zu schmücken, was mich apropos sehr entspannt! 

Dieses Interview ist in der neuen Winterausgabe der „ida“ erschienen - dem Lifestyle-Printmagazin der Kleinen Zeitung: ida - ich denke an ...