„Es ist leider ein fataler Aberglaube, dass pflanzliche Arzneimittel frei von Nebenwirkungen sind“, sagt Apothekerin Ilona Leitner. „Eine Substanz, die positive Effekte hat, kann in der falschen Anwendung sicher auch Nebenwirkungen machen“, sagt auch Akos Heinemann, Pharmakologe an der Med Uni Graz. Ein Arzneimittel greift in einen krankhaften Prozess im Körper ein und bewirkt eine positive Korrektur – falsch eingesetzt oder falsch dosiert kann ein Mittel aber auch giftig sein.

Konzentrierte Wirkung

Was ein pflanzliches Arzneimittel von einem synthetischen unterscheidet: „Die Pflanze selbst hat die Wirkstoffe schon synthetisiert, darauf geht wohl die Idee zurück, pflanzliche Wirkstoffe seien ungefährlich“, sagt Heinemann – schließlich essen wir Pflanzen ja auch und tragen keinen Schaden davon.

Der Nimbus des Harmlosen, der pflanzlichen Arzneimitteln anhaftet, ist nicht ganz unbegründet: „Man müsste sehr große Mengen der Pflanzen zu sich nehmen, um potenziell tödliche Mengen zu erreichen“, sagt Heinemann.

Die Konzentration des Wirkstoffs in der Pflanze ist meist gering, daher werden pflanzliche Ausgangsprodukte auch oft weiterbehandelt: Wirkstoffe werden extrahiert und konzentriert, es entsteht ein Arzneimittel, nur eben auf pflanzlicher Basis.

Tollkirsche & Mohn

„Ja, wir sehen in der Apotheke, dass viele Menschen großen Wert auf natürliche Wirkstoffe legen“, sagt Leitner. Dabei gebe es unzählige Beispiele dafür, dass Pflanzen keineswegs harmlos sind: Alkaloide zum Beispiel, jene Stoffe, die auch im Verdacht stehen, für die leberschädigende Wirkung des Schöllkrauts verantwortlich zu sein, seien in sehr vielen Pflanzen enthalten. Das toxische Atropin der Tollkirsche, das Opium der Mohngewächse, die giftigen Inhaltsstoffe des Goldregens sind weitere Beispiele, die Leitner nennt.

Vorsicht: Goji-Beere kann Blutungen auslösen
Vorsicht: Goji-Beere kann Blutungen auslösen © APA/dpa/Sina Schuldt

„Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“: Der Satz des Paracelsus muss hier in Erinnerung gerufen werden. Aber nicht nur die Dosis ist entscheidend, sondern auch die Kombination mit anderen Arzneimitteln: Wechselwirkungen, zum Beispiel mit Dauermedikamenten wie Blutdrucksenkern, können auch durch pflanzliche Arzneimittel auftreten. Und weil’s ja pflanzlich ist, werden die zusätzlichen Mittelchen weder dem Arzt noch dem Apotheker verraten.

Grapefruit führt dazu, dass Medikamente im Körper langsamer abgebaut werden
Grapefruit führt dazu, dass Medikamente im Körper langsamer abgebaut werden © egorxfi - stock.adobe.com

Pflanzliche Mittel können ebenso wie Nahrungsmittel und Getränke die Wirkung von Medikamenten beeinflussen (siehe Beispiele). „Daher sollten Medikamente ausschließlich mit Leitungswasser eingenommen werden“, sagt Leitner.

Nach zwei, drei Tagen zum Arzt

Pflanzliche Arzneimittel werden gerne zur Selbstbehandlung eingesetzt: „Wenn Beschwerden plötzlich auftreten und die Ursache ersichtlich ist, kann ich mir selbst helfen“, sagt Leitner. „Halten die Beschwerden aber länger als zwei, drei Tage an, sollte man den Arzt aufsuchen.“