Sei es aus Angst, fehlender Information oder falscher Scham: Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden, versuchen noch immer zu oft,  ihre Leiden zu verstecken statt professionelle Hilfe zu suchen. Darauf macht am heutigen Tag der seelischen Gesundheit die Organisation pro mente Austria aufmerksam.

„Obwohl ein Drittel der Gesellschaft mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen hat, schämen sich die Betroffenen und haben Angst, öffentlich darüber zu sprechen. Sozialer Rückzug und Vereinsamung sind häufig die Folge”, sagt Präsident Werner Schöny. Dass das nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Gesellschaft belastend ist, zeigt unter anderem der Blick auf die ansteigenden Frühpensionierungen auf Grund psychischer Krankheiten und die zunehmenden Krankenstände.

10 Schritte für psychische Gesundheit

Schöny plädiert dafür, sich bei psychischen Leiden nicht anders zu verhalten als bei jeder anderen Krankheit auch. „Niemand wird zögern, einen Arzt zu rufen, wenn jemand an Herzrhythmus-Störungen leidet. Genauso sollte rasche und professionelle Hilfe immer das oberste Gebot sein, wenn seelische Krisen auftreten.“ Um Betroffenen und ihren Angehörigen diesen Schritt zu erleichtern, startet pro mente Austria die Initiative "Erste Hilfe für die Seele".

Psychische Krankheiten nehmen zu

„Psychische Krankheiten sind in Österreich nicht nur für ein Viertel der gesamten Krankheitslast verantwortlich, sie nehmen auch weiter zu“, sagt Schöny. Insgesamt ist heute bereits jeder Dritte einmal pro Jahr zumindest von einer psychischen Störung betroffen.

Ebenfalls dramatische Zuwächse verzeichnen die Experten bei Suchterkrankungen, allen voran der Alkoholsucht. Zahlen des Instituts für Suchtprävention zufolge sind in Österreich bereits fünf Prozent der 15- bis 99-Jährigen – das sind rund 435.000 Menschen – von alkoholischen Getränken abhängig. Dazu kommen weitere zwölf Prozent, deren Trinkverhalten zumindest ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt.

Schlechte Versorgung

Demgegenüber stehen Versorgungsstrukturen, die dem steigenden Bedarf schon seit Jahren nicht mehr gerecht werden. Bei der Zahl der Psychiatrie-Betten liegt Österreich im europäischen Vergleich am unteren Ende der Skala. Mit 14,6 Psychiatern pro 100.000 Einwohner stehen bei uns auch deutlich weniger Fachärzte zur Verfügung als im OECD-Durchschnitt. Die logische Konsequenz: Rund 70 Prozent aller psychiatrischen Diagnosen und Verordnungen werden hierzulande nicht von Fachärzten, sondern von Allgemeinmedizinern gestellt.

Für die Behandlung beim Facharzt müssen die Betroffenen lange Wartezeiten in Kauf nehmen, was nicht nur das Leid prolongiert, sondern auch das Risiko der Chronifizierung erhöht.

Hinsehen statt wegschauen

Depressionen sind das mit Abstand am weitesten verbreitete psychische Leiden. Für das Umfeld der Betroffenen ist es dabei nicht immer leicht, eine bloße psychische Verstimmung von einer ernsthaften Krankheit zu unterscheiden. „Die erste Regel muss immer lauten: Hinsehen statt wegschauen“, sagt Schöny. „In einer akuten Krise ist es wichtig, den betroffenen Menschen nicht alleine zu lassen.“

Besser als die Probleme gleich zu relativieren und vorschnelle Lösungen anzubieten, ist es zunächst einmal zuzuhören – oder gemeinsam zu schweigen. Schwieriger ist es, wenn sich Krisen schleichend über einen längeren Zeitraum entwickeln. Belastungen wie Konflikte in der Familie oder finanzielle Sorgen können allmählich zu einer Überforderung führen und beim geringsten Auslöser in einer ernsthaften Krise kumulieren.

Mehr Suizid-Opfer als Verkehrstote

Seelische Krankheiten können aber auch ganz ohne Einflüsse von außen auftreten. „Bei Depressionen sind Veränderungen des Hirnstoffwechsels eine häufige Ursache. Sie ist eine häufige Erkrankung, die heute aber gut behandelbar ist“, erklärt Günter Klug, Vizepräsident von pro mente Austria, warum gut gemeinte Ratschläge wie „reiß dich zusammen“ ins Leere laufen müssen. „Eine Depression kann tödliche Folgen haben“, warnt er. In Österreich gibt es dreimal so viele Suizidopfer wie Verkehrstote. „Das frühe Erkennen und rasche ärztliche Behandeln können daher nicht nur Leid ersparen sondern Leben retten“, sagt Klug.

Gefährdete zu erkennen, ist für Laien nicht immer leicht. „Ein wichtiges Indiz ist immer, wenn neben der Niedergeschlagenheit ein Verlust der Lebensperspektive erkennbar ist“, erklärt Klug. „Suizidgefährdete Menschen sagen zum Beispiel ‚Ich möchte, dass alles aufhört!‘ oder ‚Ich schaffe das nicht mehr!‘“ In acht von zehn Fällen kündigen die Betroffenen ihr Vorhaben aber ohnehin mehr oder weniger offen an.

„Das ist immer ein Hilferuf, der ernst genommen werden muss”, warnt  Klug und räumt dabei gleich mit mehreren weit verbreiteten hochriskanten Klischees auf. „Die Annahme, dass jemand, der von Selbsttötung spricht, es ohnehin nicht tut, ist ebenso falsch wie die Vorstellung, dass man jemanden, der so etwas vorhat, ohnehin nicht aufhalten kann.“