Ihr Buch trägt den Titel: "Die sieben Geheimnisse des guten Sterbens". Sterben wir schlecht?

DOROTHEA MIHM: Ich will Sterben nicht in die Kategorien gut oder schlecht einordnen. Mit gutem Sterben meine ich, dass ein Mensch im Sterbeprozess vollkommen damit einverstanden ist, was jetzt mit ihm passiert.

Sie beschreiben, dass es im Umgang mit Sterbenden Probleme gibt. Was müsste sich verbessern?

MIHM: Wenn ein Sterbender in der Grauzone zwischen Leben und Tod ist, in der er sich nicht mehr mitteilen kann, haben die meisten Menschen Hemmungen und sind verunsichert. Sie wissen nicht, wie man ihm etwas Gutes tun kann, ob er überhaupt noch etwas mitbekommt. Doch in dieser Phase ist der Mensch noch nicht tot.

Was kann man Sterbenden denn Gutes tun?

MIHM: Man muss sich bewusst machen, dass bei diesem Menschen alle Sinneskanäle offen sind: Er kann fühlen und verstehen. Und man muss für sich eine innere Haltung kreieren, die auf Liebe und Mitgefühl basiert. Wenn man mit Stress oder Zeitnot an einen Sterbenden herangeht, wird man kaum Zugang finden.

Sie kritisieren auch unseren Umgang mit dem Tod: Er wird aus dem Leben ausgeklammert. Wie kann man anders damit umgehen?

MIHM: Ich kann von mir persönlich sagen: Wenn ich mir die Endgültigkeit des Lebens vor Augen führe und den Tod nicht verdränge, habe ich ein Bewusstsein dafür, dass ich tatsächlich sterben werde. Viele Menschen bekommen eine bösartige Diagnose und dann folgt der große Schock: Oh mein Gott, ich muss ja sterben. Erst dann fängt die Auseinandersetzung damit an. Wenn ich mir dessen schon früher bewusst bin, ist dieser Schock nicht so groß.

Was kann dabei helfen, sich mit dem Tod abzufinden?

MIHM: Man kann sich damit auseinandersetzen, was die Symptome des Sterbens sind. Es gibt im Sterbeprozess äußere und innere Zeichen, die das Sterben ankündigen. Man kann schon im Leben trainieren, dem Moment des Todes gegenwärtig zu begegnen.

Dorothea Mihm
Dorothea Mihm © kk

Was sind solche Symptome?

MIHM: Es beginnt damit, dass der Sterbende in eine körperliche Unruhe kommt. Er versucht, in Bewegung zu sein oder die Bettdecke wegzutreten. Innerlich erfährt der Sterbende eine Körperwahrnehmung, die er noch nie gespürt hat. Das ist wie eine Betäubungsspritze beim Zahnarzt - das erfahren Sterbende am ganzen Körper. Und das macht Angst, dagegen versucht man sich aufzubäumen. Wenn man das beobachtet, ist es völlig falsch, den Sterbenden ans Bett zu fesseln oder ihn mit Beruhigungsmitteln zuzupumpen.

Was sollte man stattdessen tun?

MIHM: Wenn ich als Sterbebegleiter sage: "Kann es sein, dass du dich schwer fühlst, dass sich die Wahrnehmung verändert hat?", dann fühlt er sich verstanden und man kann mit ihm weitergehen, und fragen: "Möchtest du wissen, was jetzt mit dir passiert?" Die meisten Menschen sagen: "Ja, erklär mir, was mit mir passiert." Und dann sagt man: "So fühlt sich Sterben an."