Die Causa kocht schon seit Jahren vor sich hin, jetzt gibt es neuen Zündstoff – und zwar in Form eines Briefes aus Brüssel, der im Bundeskanzleramt eingetroffen ist. Darin geht die EU-Kommission mit dem aus Brüsseler Sicht zu laschen Natura-2000-Schutz in Österreich hart ins Gericht. Und diesmal bleibt es nicht bei der Kritik an den zu wenigen Schutzgebieten: Die Kommission verliert mit Österreich die Geduld und knallt dem Land einen 160 Seiten starken Katalog mit Forderungen für Hunderte neue Schutzgebiete auf den Tisch. Dynamit pur in der heiklen Diskussion. In zwei Wochen soll in Wien bei einer Umweltpaketsitzung zwischen Kommissionsvertretern und Vertretern der Bundesländer Tacheles geredet werden.

Seit 2013 läuft gegen Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren, weil wichtige Schutzgüter (Pflanzen, Tiere und Landschaftstypen) nicht in Natura-2000-Gebiete integriert sind, wie Brüssel moniert. Damals legte die EU-Kommission Österreich eine Liste mit möglichen zusätzlichen Schutzgebieten vor. Aus Sorge vor einer Verurteilung samt millionenschweren Strafzahlungen reagierten die Landesregierungen und nominierten in den vergangenen Jahren etliche Gebiete aus der Liste nach. 16 neue Schutzgebiete wurden es in der Steiermark, 19 in Kärnten. Kein einfaches Unterfangen, zumal die für den Naturschutz zuständigen Landesregierungen jedes einzelne Natura-2000-Gebiet in monatelanger Kleinarbeit mit Grundstückseigentümern, Landwirten und anderen Interessensträgern abstimmen müssen, wollen sie keine gröberen Konflikte riskieren.

Der EU-Kommission geht das alles zu langsam und zu wenig konsequent vonstatten. Zwar erkennt Brüssel im Brief an, dass österreichweit seit 2013 insgesamt 88 neue Schutzgebiete hinzugekommen und 13 erweitert worden seien, was ein Viertelprozent der ganzen Landesfläche ausmacht. Doch viele der von der Kommission aufgelisteten Gebiete seien – anders als vereinbart – ohne Begründung unberücksichtigt geblieben. Österreich sei seinen Zusagen daher nur unvollständig nachgekommen, heißt es im Schreiben, das der Kleinen Zeitung vorliegt. Die Kommission wurde deshalb von sich aus aktiv, stellte Nachforschungen an und goss die Ergebnisse in den erwähnten 160-Seiten-Katalog mit unzähligen neuen Gebietsvorschlägen, der nun in den Landesregierungen für helle Aufregung sorgt.

Gesprächsbereitschaft bis Ablehnung

Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus. Während Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) bei seiner harten Linie bleibt und „kein einziges weiteres Schutzgebiet“ gewähren will, kommen aus der Steiermark konziliantere Töne. „Wir müssen zuerst einmal die ursprüngliche Liste an Gebietsvorschlägen ganz abarbeiten, aber wir sind gesprächsbereit“, heißt es aus dem Büro von Umweltlandesrat Anton Lang (SPÖ). Ziel sei wie bisher der Konsens mit den betroffenen Grundstückseigentümern. Ähnlich die Position von Kärntens Umweltlandesrat Rolf Holub (Grüne). „Gebiete, die fachlich begründbar nachzunominieren sind, werden auch ausgewiesen, dazu stehen wir“, heißt es aus seinem Büro. Abzuklären gelte es allerdings noch, auf welche Weise der neue Katalog auszulegen sei, sprich: Ob tatsächlich jedes einzelne Gebiet darin als Forderung zu verstehen ist.

Der Gesprächsstoff dürfte den Landes- und Kommissionsvertretern bei der gemeinsamen Sitzung in Wien, die für 15. November anberaumt ist, also nicht so rasch ausgehen. Fix dürfte schon jetzt sein: Mit den 88 neuen Schutzgebieten in Österreich wird sich die Kommission auf keinen Fall zufriedengeben.