„Nenn es einen Oldtimer“, schlägt Harry Baloch nach dem Rundgang durch das Wohnprojekt „Am Silberberg“ vor. Oldtimer sind nie auf dem letzten Stand der Technik, oft verbeult und trotzdem geliebt. Ein halbes Leben verbindet sich mit ihnen, Erinnerungen an Abenteuer, Krisen, Freundschaften und Liebe. PKW, das „Projekt kooperatives Wohnen“ in Raaba bei Graz, erfüllt 46 Jahre nach seiner Besiedlung alle diese Kriterien.

Am Anfang stand die Abneigung von 24 Jungfamilien gegen den gängigen Wohnbau. Man wollte neue Formen des Zusammenlebens riskieren, nicht viel Geld ausgeben und doch schön wohnen. Gesucht waren „Leute, für die Utopien nicht utopisch sind“, wie die Bewohner sich in einer Festschrift selbst definierten. Dass die ÖVP Steiermark damals solchen Experimenten gegenüber offen war, traf sich gut. „Ohne die maßlose Förderung durch das Land hätten wir uns das nicht leisten können“, sagt Baloch, der bei der Gründung dabei war.

Die Anfangsschwierigkeiten müssen immens gewesen sein. Es galt, die um drei Atriumhöfe gruppierten 24 Wohnungen so zu verteilen, dass sich niemand benachteiligt fühlte. Wie entscheiden, wer mit wem unter ein Dach zieht? Wessen Wohnung blickt nach Norden, wer sieht vor seinen Fenstern den Sonnenaufgang, wer das Abendrot? Man entwickelte gefinkelte Formen des Ausgleichs für benachteiligte Lagen. Wer sich für den Norden entschied, bekam mehr Grund zur privaten Nutzung und ermäßigte Heizkosten zugesprochen. Wer bevorzugt wohnte, zahlte dafür mehr. Lösungen fanden sich, niemand sprang ab.

Module wie Zündholzschachteln

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Der Linzer Architekt Fritz Matzinger erhielt den Auftrag, die im Grundriss drei mal sechs Meter großen Betonmodule um den Innenhof herum anzuordnen. Das Vorbild hatte der Verein in Linz gesehen, wo Matzinger ein ähnliches Projekt errichtet hatte. Sobald geklärt war, wer wo wohnen würde, standen schon die nächsten heiklen Entscheidungen an. Wo sollten die vorproduzierten Betonmodule Öffnungen für Fenster, Türen und Durchlässe haben, wo die Wendeltreppe in den Oberstock durchbrechen und wo die Küchenanschlüsse Platz finden? Was einmal gegossen war, ließ sich schließlich nicht mehr ändern.

Mit der Bahn trafen die fertigen Module 1978 in Raaba ein und ließen sich in wenigen Wochen zusammensetzen. „Zündholzschachteln“ nannte ein Anrainer damals, was da vor seinen Augen aufgestapelt wurde. Das Dorf war nicht sehr erbaut über die Betongebäude, die nicht die ortsüblichen Giebeldächer zierten. Als später am Nachbargrund eine weitere Siedlung entstand, durfte sie kein Flachdach mehr tragen. 

„Wir waren der intelligenteste Jungfamilienneubau, jetzt werden wir ein Altersheim“, sagt Baloch, der wieder einmal dem Verein PKW vorsteht. In dieser Funktion muss er Arbeiten verteilen, Geld eintreiben und die Förderungen zurückzahlen. Die altersmäßige Durchmischung haben die Förderrichtlinien damals nicht gestattet.

So zogen ausschließlich Jungfamilien ein und mit ihnen 50 Kinder. Inzwischen ist es ruhig geworden in den Höfen und die Gründergeneration ist ergraut. „Ich freu’ mich immer, wenn ich Kinderstimmen höre“, sagt Uwe Baur, einer der ursprünglichen Bewohner des Silberbergs. Stand anfangs die gegenseitige Unterstützung bei der Kindererziehung im Vordergrund, hilft man einander jetzt beim Altwerden.

Aus dem Baukasten

Baurs Wohnung zeigt, was das einfache Baukastensystem möglich machte. Zwei der Kisten ließ er mit einer offenen Seitenwand gießen. Die Öffnungen aneinandergestellt ergaben einen 36 Quadratmeter großen Raum, den nur eine Säule in der Mitte stützt. Gert Civegna, auch ein Ureinwohner des Silberbergs, führt über seine Wendeltreppe aufs Dach hinauf. Von hier aus überblickt man alle drei Höfe und sieht bis ins steirische Hügelland. Betonwannen mit Beeten begrenzen die Dachterrassen, schräge Dachaufbauten schützen den Abgang vor Wind und Wetter.

Kein Oldtimer fährt ohne moderne Ersatzteile. Das Flachdach bedurfte bald nach dem Einzug der Erneuerung, das trüb gewordene Glasfaserpolyester der elektrisch verschiebbaren Pyramide über dem Atrium musste Glas weichen. Die eisernen Heizungsrohre verrosteten und mussten ersetzt werden. Statt Flüssiggas heizt heute Fernwärme die Böden.

Und ob das kleine Schwimmbecken, das damals geplant worden ist, jemals in Betrieb gehen wird, steht in den Sternen. „Die Fertigstellung des Baus darf nicht mit dem Glauben zusammenfallen, das Ziel erreicht zu haben“, schrieb ein Bewohner nach dem Einzug ins Wohnprojekt. Das nächste Etappenziel ist der Generationswechsel. „Drei jüngere Leute haben schon Wohnungen gekauft“, erzählt Baloch. „Wir finden das sehr erfreulich.“