Dieser Hunger ist groß. Die Sehnsucht nach einem Kind wird im autofiktionalen Roman der dänischen Bestsellerautorin Tine Høeg für Mia lebensbestimmend. Mit der 35-jährigen Heldin, einer erfolgreichen Autorin romantischer Feel-Good-Romane, steigt die Leserin von „Hunger“ gleich direkt ein in die Tortur, die Mias ungewollte Kinderlosigkeit beenden soll: „Ultraschall Untersuchung ob meine Eileiter durchlässig sind“. Schon zu Beginn dieser soghaften Geschichte einer Fertilitätsbehandlung findet man sie wieder, die kurzen, stakkatoartigen Sätze meist ohne Punkt und Beistrich, die sparsame Sprache, die zunehmende Dringlichkeit, die man schon aus Høegs Vorgängerbüchern „Neue Reisende“ und „Tour de Chambre“ kennt. Alle drei sind auf Deutsch im Grazer Droschl Verlag erschienen, die Verfilmung von „Hunger“ läuft seit dieser Woche unter dem verharmlosenden Titel „Eine Kopenhagener Liebesgeschichte“ auf Netflix.
Romantisch ist wenig in den immer eindringlicher werdenden, intimen Tagebuchaufzeichnungen, in denen diese Frau mit ihrer Kinderlosigkeit hadert: „Ich denke an den Körper der Frau. Brutalität und Tod ob sie nun gebiert, abtreibt oder nicht schwanger werden kann, der Körper der Frau ist ein Ort der Gewalt.“
Kind, ja oder nein?
Drastisch schildert die Autorin die physischen, psychischen und sozialen Belastungen, denen Frauen ausgesetzt sind, die nicht das leisten können, was ihnen gesellschaftlich zugeschrieben wird: Leben in die Welt zu setzen. Selbsthass und Scham der Frau beginnen die Beziehung des Liebespaares Mia und Emil zu zersetzen, selbst wenn Mia versucht, eine gute „Bonusmutter“ für die Kinder ihres Mannes zu sein. Die Frage „Kind, ja oder nein?“ ist auch rund um sie virulent: Ihre Freundin Rikke will ein Kind, hat aber keinen Mann, der anderen Freundin Gro steht Mia bei einer Abtreibung bei und ihr schwuler Bruder sucht schon lange mit seinem Partner nach einer Leihmutter.
Zum Weiterlesen: Das Hadern mit der tickenden biologischen Uhr thematisierte unlängst die deutsche Schriftstellerin Jackie Thomae in ihrem im Vorjahr erschienenen Buch „Glück“; den Körper der Frau als Kampfzone findet man auch im Abtreibungsroman „Das Ereignis“ der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux.
Die Kopenhagener Liebesgeschichte von Tine Høeg ist in der Buchvorlage zum Film das aufwühlende, sinnliche Psychogramm einer Frau unserer Zeit, das Protokoll einer Sehnsucht, die zur Obsession wurde. Das Ende des Romans nach dem neunmonatigen Befruchtungs-Procedere bleibt übrigens offen.
Tine Høeg. Hunger. Aus dem Dänischen von Gerd und Ingrid Weinreich. Droschl. 400 Seiten, 26,70 Euro.