Die Kultur ist im zweiten Lockdown, wen trifft das im Kulturbetrieb besonders hart und warum?

Lidija Krienzer-Radojevic: Der zweite Lockdown hat die ganze Freie Szene hart getroffen, doch besonders betroffen sind jene Kulturinitiativen und ihre MitarbeiterInnen, die mit geringen Förderungen oder sogar ganz ohne Fördermittel arbeiten, deshalb abhängig von laufenden Einnahmen sind und keine Rücklagen haben. Bereits vor dieser Ausnahmesituation haben sie hart am Limit gearbeitet, jetzt stoßen sie tatsächlich an ihre Grenzen. Die Coronakrise hat nur sichtbar gemacht, wie prekär die Situation in der kulturellen Infrastruktur auch schon vor der Krise war.

Wie müsste die Politik gegensteuern?

Ich vermisse mehr Unterstützung für gemeinnützige Kulturvereine. Sie sind immer die letzten denen Hilfe gewährt wird, obwohl genau sie für landesweite kulturelle Vielfalt verantwortlich zeichnen. Gleichzeitig haben sie auch die Verantwortung gegenüber ihren MitarbeiterInnen, KünstlerInnen und auch gegenüber dem Publikum. Seit Beginn des ersten Lockdowns haben sie erhebliche Personalressourcen in krisenbedingte Stornierungen, Umbuchungen und Umplanungen von Veranstaltungen investiert. Deshalb sollten ihre Personalmehrkosten durch den NPO-Fonds anerkannt werden. Langfristig ist es notwendig jetzt Vorsorge zu treffen, damit der Sektor nach der Krise nicht unwiederbringlich zusammenbricht. Das bedeutet die Vorbereitung von Investitionen und Reformen im Kulturbereich.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit den Hilfspaketen bislang?

Nach der schwierigen Phase im Frühling haben die Auszahlungen schnell funktioniert, doch es bleibt noch immer das Problem, dass gewisse KulturarbeiterInnen, wie etwa geringfügig Beschäftigte - eine der häufigsten Anstellungsformen im Kulturbereich - keine richtige Unterstützung kriegen. Außerdem warten die Kulturvereine auf die dringend notwendige Verlängerung des NPO-Fonds. 

Bekommen Sie viele Hilferufe an die IG?

Ja, sehr viele. Viele melden sich bei uns, weil sie sich mit den jeweils neuesten Regelungen für Veranstaltungen nicht auskennen. Manche sind auch einfach nur verzweifelt, weil sie für keinen der existierenden Hilfsfonds die Anspruchsvoraussetzungen zu haben scheinen. Es ist eine sehr schwierige Situation für alle, deshalb passen wir sehr auf, dass sich keine Konfliktsituationen zwischen KulturakteuInnen ergeben, sondern dass wir Lösungen ausarbeiten, die niemanden ausschließen.

Wie beurteilen Sie den neuen Sozialbonus über die Sozialversicherung der Selbstständigen, der für den Novemberlockdown ausbezahlt wird?

Ich finde diese Beihilfe notwendig. Was ich hier auch positiv sehe ist, dass mit dem Betrag von € 1300 zumindest die Armutsgrenze berücksichtigt wurde. Doch es bleibt noch immer das große Problem, dass die Kunst- und Kulturtreibenden, die keine SVS-Versicherung haben einen sehr erschwerten Zugang zur Hilfe haben und im Kulturbereich gibt es viele, die zu wenig verdienen, um die Pflichtversicherungsgrenze zu überschreiten.

Die IG weist seit Jahren auf die Notwendigkeit einer fairen Bezahlung im Kulturbereich hin, was ist konkret gegangen?

Die Tatsache, dass der Kulturbereich generell von großer Prekarität, schlechter finanzieller Absicherung und einem hohen Anteil an ehrenamtlicher Arbeit gekennzeichnet ist, hat sich jetzt in ihrer ganzen Dramatik gezeigt. Selbst in der professionellen Kulturarbeit wird oft noch die Bereitschaft zur unbezahlten Arbeit vorausgesetzt. Das muss sich ändern und es braucht dafür gemeinsames Vorgehen von Politik und Interessenvertretungen. Der Bund hat den ersten Schritt mit dem „Fairness Prozess“ getan, der sich faire Entlohnung im Kulturbereich zum Ziele setzt. Auf Landesebene warten wir noch auf einen ähnlichen Schritt. Wir brauchen eine neue Normalität für die Entlohnung im Kulturbereich und entsprechende politische Entscheidungen, die sich im Kulturbudget widerspiegeln. Es gibt zwar keinen dezidierten Widerstand dagegen, aber bis dato auch keinen echten politischen Willen dafür.

Welche Folgewirkungen hat der Lockdown für die Kulturszene in ökonomischer Hinsicht?

Im Juni hat eine WIFO-Studie bestätigt, dass der Kulturbereich eine relevante Rolle für die österreichische Gesamtwirtschaft spielt. Doch die WIFO-Forscher warnen, dass aufgrund des unterschiedlichen Zuganges zur Absicherung von staatsnahen Betrieben einerseits und der freien Szene andererseits das Risiko von einer "Zweiklassengesellschaft" im Kulturbereich besteht. Um diese immens hohes Ungleichheiten zu balancieren, sind differenzierte Maßnahmen vonnöten, die der Heterogenität des Bereiches entsprechen. Der NPO-Fonds ermöglicht  - teilweise - den Erhalt der kulturellen Infrastruktur. Doch unter den COVID 19-Einschränkungen, die uns nach dem Lockdown erwarten, ist eine Wiederaufnahme der Tätigkeiten im Kunst- und Kulturbereich nur mit Mehrkosten bei geringeren Einnahmen möglich. Die notwendige „Kostenreduktion“ droht damit - wieder - bei den Personalkosten umgesetzt zu werden: Geringere Honorare und Gagen für KünstlerInnen oder Sparmaßnahmen bei Gehältern, sofern es Angestellte gibt. Das wird die Ungleichheiten nur noch vertiefen.

Wie wirken sich ökonomische Probleme auf die Kunst selbst aus?