"The Wayfarer", wir stellen uns diesen Wanderer als wunderbar mundfaul vor, schlurft über verstaubte Landstraßen, der „Tucson Train“ heult vorbei, der Durst und andere Bedürfnisse werden in Joe’s Cafe befriedigt, Wildpferde tauchen in der Dämmerung auf, dann schließlich der lodernde „Sundown“ – und über all dem die „Western Stars“ in ihrer funkelnden Pracht.

„Western Stars“ lautet der Titel der neuen CD von Bruce Springsteen – und die Zweideutigkeit ist recht eindeutig auszumachen: Gemeint sind einerseits die Sterne am Himmelszelt, gleichsam die Metaebene, und andererseits die Alltags-Stars auf Erden. Hier, auf der tatsächlichen Ebene, beginnt die Erzählung, hier siedelt Springsteen seine Menschen-Sterne an, allesamt Typen mit großen Träumen und kleinen Lebensentwürfen, die aber große Würde und Wahrhaftigkeit ausstrahlen. „Same Old Story Of Love and Glory/Going Round and Round“.

„Western Stars“ ist das 19. Studioalbum des 69 Jahre alten Musikern, den seine Fans nur „The Boss“ nennen, das erste seit „High Hopes“ vor fünf Jahren. Und es ist ein Album von betörender Schönheit, das auf wunderbare Weise den Zeitgeist unterläuft. Keine aufgeregten Videoinszenierungen, keine technischen oder musikalischen Kraftmeiereien, nur 13 grandiose Songs, 13 vertonte Kurzgeschichten, 13 Stationen eines Road-Movies, die am Ende des Weges ein prunkvolles Americana-Epos ergeben.

„Western Stars“ ist mit keinem bisherigen Springsteen-Album vergleichbar - auch nicht mit „Nebraska“ oder „The Ghost Of Tom Joad“, deren Quintessenz eine existenzielle Kargheit ist. Der neue Song-Zyklus hingegen ist voll Opulenz, ein Western im Breitwandformat. 30 Mitmusiker sind am Werk, die Pedal-Steel Gitarren weinen, die Streicher säuseln, der Rocker ruht, der Romantiker schwelgt. Diese Üppigkeit, dieser Schmalz, wird von Springsteen ganz bewusst eingesetzt. Es ist seine Hommage an andere Stars: an Glen Campbell, Jimmy Webb, Burt Bacharach, die den Kitsch zur erhabenen Kunstform erhoben haben.

Den Ritt in den Westen kann man Springsteen als mystisch verklärte Weltflucht auslegen – oder als wohltuende Auszeit vor den global wütenden Clowns empfinden. Keine Twitter-Trumps tauchen auf dieser Platte auf, nur Train-Tramps. Und „The Wayfarer“, der Wanderer, kommt am Ende seines Weges und dieses Albums im „Memory Hotel“ an. Wie passend. Ein Erinnerungshotel mit sorgsam individuell eingerichteten Zimmern. Heil ist dort die Welt auch nicht. Aber es ist heilsam, Songs wie diese zu hören, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen.

Zur Information:
Bruce Springsteen, geb. am 23. September 1949 in Long Branch, New Jersey. Debüt 1973 mit dem Album „Greetings from Asbury Park, N.J.“, Durchbruch mit der Platte „Born to Run“ (1975). Zuletzt spielte Springsteen 230 ausverkaufte Solo-Shows am Broadway.
Aktuelle CD: Western Stars. (Sony), erscheint heute.
brucespringsteen.net

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