Das hätt’s unterm Marischka net gebn: Die allererste Szene der neuen Fernsehserie „Sisi“, die RTL+ derzeit und der ORF im Weihnachtsprogramm sendet, zeigt die zukünftige Kaiserin von Österreich beim Masturbieren. Warum auch nicht, argumentierten Showrunner und Regisseur gleich einmal in Interviews: Es hätte ja durchaus so gewesen sein können. Und was soll man auch dagegen sagen: Liebe an und für sich, zumal hinter verschlossenen Türen, bleibt eine Frage der Imagination und muss keiner historischen Prüfung standhalten.

Wie wohl das österreichische Publikum, das seine „Sissi“-Liebe seit Jahrzehnten durch alljährliche weihnachtliche Dreifachdosen von Ernst Marischkas Filmreihe mit Romy Schneider boostert, auf die sinnenfrohe Version der kaiserlichen Liebesgeschichte reagieren wird? Immerhin liegt das Haus Habsburg hier offenbar gleich um die Ecke von „Bridgerton“, dem lustbetonten Netflix-Hit. Schon in der ersten Folge reißt der Kaiser seiner bayerischen Braut in spe das Kleid vom heftig wogenden Busen, kurz darauf sieht man ihn in seiner Ischler Sommerresidenz engagiert einer Orgie beiwohnen. Da klingt Franz Josephs gut dokumentierte Sehnsucht „nach dem lieben, lieben Ischl“ plötzlich ganz neu. Salzkammergut Babylon? Der Kaiser als Sexprotz? Skandalöser fürs heimische Publikum ist wohl, dass Sisi und ihr Franz in der Serie statt auf Bayrisch und Schönbrunnerdeutsch in knatterndem Preußisch miteinander konversieren.

Ansonsten trifft auf die Serie mit Dominique Devenport und Jannik Schümann zu, was nicht nur für das Genre historisierender Adelsromanzen gilt: Was da wie erzählt wird, hat mit geschichtlichen Ereignissen weit weniger zu tun als mit den Interessen ihrer Entstehungszeit. Dass die „Sissi“ der Fünfziger (damals fälschlich mit Doppel-s) letztlich ein Bild fügsamer Unschuld zeichnete, entsprach dem Frauenbild der Wiederaufbauzeit. Wenig überraschend, dass sich Romy Schneider von der Rolle, die im deutschen Sprachraum so lange ihr Image prägte, bald richtiggehend drangsaliert sah.

Aber nach wie vor bastelt sich jede Generation ihre eigene Sisi. Dem Bild der von Schwiegermutter, Hofzeremoniell, Schicksalsschlägen gequälten Kaiserin lassen sich auch gut 120 Jahre nach ihrer Ermordung 1898 noch neue Facetten abgewinnen. Der erste Sisi-Film wurde 1920 gedreht, seither befassten sich Künstler wie Jean Cocteau und Luchino Visconti mit Elisabeth, zuletzt mokierte sich Bully Herbig in „Lissi und der wilde Kaiser“ über den „Sissi“-Kitsch. Drei dutzend Filme, Serien, Dokus, Museumsausstellungen sind ihr gewidmet, eine Operette und zwei Musicals.

Dass die Kaiserin auf ihrer lebenslangen Flucht vor der verhassten „Wiener Kerkerburg“ Ehemann, Kinder, Amt hinter sich ließ, auf ausgedehnte Reisen ging, Griechisch lernte, um die antiken Philosophen im Original lesen zu können und ein tägliches exzessives Sportprogramm absolvierte, um sich ihre Schönheit zu erhalten, sprich: dass sie ihre individuelle Selbstverwirklichung mit einer sehr heutig anmutenden Unnachgiebigkeit betrieb, hat die Historikerin Brigitte Hamann in ihrem maßgebenden Werk „Elisabeth. Kaiserin wider Willen“ dargelegt.

Für die Bedürfnisse der Populärkultur erweist sich dieses Sisi-Bild allerdings immer wieder als zu differenziert. Zumal sich die abgegriffenen Klischees zwischen Adelsromanze und tragischer Monarchin ja auch stets neu aufpolieren lassen. Mit Liebe, Leidenschaft, Schicksalsschlägen und neuerdings auch Sex: Eine zweite Staffel der aktuellen „Sisi“-Serie ist bereits in Auftrag.