Herr Breloer, wie sind Sie bei Brecht gelandet?
HEINRICH BRELOER: Das hat bereits 1977 angefangen, durch Zufall. Weil in seiner Heimatstadt Augsburg noch Menschen lebten, die ihn gut kannten, und ich dachte: Mit denen muss ich sprechen, muss alles festhalten. Und mir war schnell klar, dass ich schnell zu filmen beginnen musste, um möglichst viel Material zusammenzukriegen. Dabei kamen interessante Geschichten heraus.

Zum Beispiel?
Heinrich Breloer: Etwa, dass er schon als sehr junger Mensch selbstbewusst erklärte: „Ich bin der Nächste, nach Goethe!“ Und alle haben ihm geglaubt. Ihm, dem kleinen Schüler, der sich hässlich fand und nicht gut roch, weil er sich nicht gerne wusch. Doch wenn er den Mund aufmachte, kam oft und oft etwas Geniales raus. Schon bei seiner Arbeit mit dem Schülerensemble war beeindruckend, was er alles konnte – und sagte. In einer Zeit, wo der nationale Wahn und der Erste Weltkrieg ausbrachen, in der alle den Heldentod als Ehre bezeichneten, war seine feste Überzeugung: Nein! Das ist falsch! Dabei blieb er auch, als sie ihm hochrangige Politiker zwecks „Intervention“ schickten. Sein Credo war: „Ich glaube an die Lust des Menschen, zu denken.“

In Ihrem Zweiteiler erfahren wir auch, dass er, der Kommunist, in seiner DDR-Zeit Stalin als „verdienten Mörder des Volkes“ bezeichnete.
Heinrich Breloer: Das blieb allerdings in seiner Schublade, wurde erst im Nachlass gefunden. Andere gewagte Sätze ließ er aber in den Westen schmuggeln, zum Suhrkamp-Verlag, und dann blieb der DDR nichts anderes übrig, als nachzuziehen. In Moskau galt er übrigens als Trotzkist, das allein war schon ein Kainsmal. Wie er die Ein- und Ausreise aus der Sowjetunion geschafft hat, bleibt mir daher überhaupt ein Rätsel.

Er war eine sehr vielschichtige Persönlichkeit, wie konnten Sie das alles einfangen?
Heinrich Breloer: Ich hätte ihn auch als leidenden, ängstlichen, kleinen Menschen darstellen können. Das wäre auf gewisse Weise nicht falsch gewesen. Doch mir lag sehr wesentlich daran zu zeigen: Ein Denkmal wird lebendig. Das ist es, was drüber steht über dieser Arbeit.

„Sein“ Theater war letztendlich seine Festung?
Heinrich Breloer: Und ein Freiraum für Experimente. Während der Proben schrieb er seine Stücke oft neu. Er glaubte an Hoffnung und Vernunft und an das Recht auf Zweifel. Das haben wir von ihm gelernt.

Schmallippig, klein, übel riechend, schlechtes Gebiss: Wie konnte es eigentlich sein, dass Brecht ein solcher Womanizer wurde?
Heinrich Breloer: Das wollte schon Robert Gernhardt, 1998 Träger des Bertolt-Brecht-Literaturpreises, wissen. Angeblich soll ihm seine Frau Helene Weigel Kukident besorgt haben … Was er auf jeden Fall beherrschte, war, eine Aura von Genie hochfahren zu können. Und er war natürlich mächtig, konnte für Frauen Rollen schreiben, und einer hat er sogar ein Auto geschenkt. Er gönnte sich selbst bisweilen zwei, drei, vier Frauen gleichzeitig – umgekehrt hat er ihnen so was nicht genehmigt. Er selbst konnte fidel durch die Stadt gehen, doch die jeweilige Frau musste zu Hause warten, bis er klingelte …

Am Ende des Zweiteilers kommt ebenfalls eine Frau zu Wort, seine Augsburger Jugendliebe Paula Banholzer. Sie sagt über Brecht: „Er kannte mich, und zwar sehr gut. Ich kannte ihn nicht.“
Heinrich Breloer: Um Brecht und sein Wesen zu beschreiben, ist das ein sehr guter Satz. Ich habe ihn bewusst am Schluss platziert.