Man kann Victoria Beckham nicht vorwerfen, dass sie nicht authentisch wäre: „In der Schule war ich eine Einzelgängerin, wurde gemobbt – ich habe mich nicht gemocht“, „Ich war verzweifelt danach, dass man mich mag“, „Ich habe mich unvollständig gefühlt, wie eingefroren“ – all das sagt sie bereits in der ersten von insgesamt drei Folgen. Es grassiert die „Wie-ich-wirklich-bin“-Dokuritis, Freud hätt seine Freud‘. Jetzt also auch Victoria Beckham, für die eine Netflix-Crew im Haus eh keine neue Erfahrung ist: 2023 widmete der Streamer ihrem Mann David Beckham eine mehrteilige Serie, in der das ehemalige Spice-Girl ebenso prominent zu sehen war. Die Intention des Dreiteilers ist, den Weg der Britin vom Pop-Star über die Frau eines Fußballspielers bis hin zur Designerin nachzuzeichnen. Oder wie es der Pressetext sagt: „Eine Geschichte von Resilienz, Neuerfindung und Selbstentdeckung.“ Was viele dieser Dokus – darunter Taylor Swift, Pamela Anderson oder zuletzt Charlie Sheen – eint, ist der Wunsch danach, die Herrschaft über das eigene Narrativ zurückzugewinnen.
Bei Victoria Beckham ist der Wunsch geradezu übermächtig, das ist in der Doku in jedem Gespräch, in jeder Geste, in jedem Blick spürbar. Das ist der maximale Kontrast zu jener Rolle, die sie nach außen hin verkörpert – sie ist die, die niemals lächelt. Daraus hat sich in den vielen Jahren Bühnenpräsenz in der Öffentlichkeit ein ganz eigenes Bild ergeben, in dem David Beckham der immer lockere Spitzbub ist, Victoria hingegen, sie ist die ewig Angespannte. Das Bild zieht sich bis in die private Inszenierung des Paares hinein. Wie viel hat man von der äußeren Projektion längst selbst übernommen?
Ist es all das überhaupt wert?
Die Doku nach konventioneller Machart – Rückblenden, viel Archivmaterial, Gespräche mit Freunden und Familie und eine Modenschau in Paris als dramaturgischer Faden – hält für Victoria Beckham wenig Gegenwind bereit. Eine kritische Auseinandersetzung sucht man vergeblich: Wie viel muss man auf sich nehmen, um so ein Leben im Rampenlicht zu führen? Was gibt man, was bekommt man zurück? Ist es all das überhaupt wert? Was ist über all die Jahre auf der Strecke geblieben?
Viel kann man sich davon zusammenreimen, aber die streng geplante Erzählung erlaubt wenig bis gar keine Abweichungen. Streng bleibt man auf der steten Erfolgserzählung, die von Rückschlägen und Durchhaltevermögen geprägt ist. Unbestritten ist: Victoria Beckham hat sich tatsächlich als Modedesignerin etabliert, es bleibt ihr zu wünschen, dass die Intention der Serie für sie aufgeht.
Struktureller Frauenhass
Vergeben hat man dadurch jedoch gleich mehrere Chancen, darunter den strukturellen Wahnsinn zu beleuchten, der Victoria Beckham in die Mangel genommen hat: Der misogyne Fleischwolf, durch den sie gedreht wurde, ist hier eine individuelle Erfahrung, aber sie hat System: Die britische Boulevardpresse ist bekanntlich die unbarmherzigste Arena, durch die man getrieben werden kann. Ein paar Headlines und Ausschnitte bekommt man zu sehen, mehr braucht es auch gar nicht: „Sie ist eine kleine gewöhnliche Bitch“, wie jemand in einer Talkshow sagt, ist noch harmlos.
Zu dünn, zu dick, dann gar zu dürr
Von einem erfolgreichen Popstar wird sie zum Anhängsel des Fußball-Nationalheiligtums herabgewürdigt – im Fokus steht vor allem ihr Körper, ihr Aussehen, ihr Auftreten. Mal ist sie zu dünn, zu dick und dann wieder zu dürr. David Beckham kommentiert die Entwicklung lapidar mit „Meine Victoria ist langsam verschwunden.“ Ihr Wechsel in die Modebranche blieb für sie auch nicht ohne Folgen, auf ihre Nichtakzeptanz folgte aus ihrer Sicht die einzig mögliche Konsequenz: „Ich musste mich ändern.“ Auf den ersten Erfolg folgte der wirtschaftliche Absturz, David Beckham und ein Investor sprangen ein. Letzterer darf sich als generöser Retter inszenieren. Victoria Beckham hingegen, der wird ihr Ehrgeiz zur Last gelegt und das ausgerechnet von einem ehemaligen Fußball-Superstar namens David Beckham.
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