"Arme Jungs!“, sagt eine junge dänische Künstlerin zu einer Mitwartenden vor dem Pavillon ihres Landes, den sie dann „etwas peinlich“ finden wird. Das ironische Beileid gilt ihren männlichen Kollegen, die man bei der heurigen Biennale fast mit der Lupe suchen muss. Die in New York lebende Kuratorin Cecilia Alemani hat es so gewollt, also primär weiblich und möglichst divers.
Nicht zufällig wurde das Motto der 59. Biennale („The Milk of Dreams“) einem Kinderbuch der britischen Surrealistin Leonora Carrington entliehen, erhielten bei der Eröffnung zwei Vertreterinnen der Black Community, Simone Leigh und Sonia Byce, einen Goldenen Löwen und wurden die Deutsche Katharina Fritsch und die Chilenin Cecilia Vicuña mit einem ebensolchen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Starke Frauen also, wohin man blickt. Hierzulande hat man die Zeichen erkannt und das queere Duo Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl ins Rennen geschickt. Im eleganten Hoffmann-Pavillon zeigen die beiden ein buntes Universum aus Malerei, Skulptur und Design, das so manchem Eintretenden ein spontanes „Wow!“ entlockt.

Blick in den österreichischen Pavillon
Blick in den österreichischen Pavillon © Hirtenfelder

Im dänischen Pavillon ist die Stimmung weit gedämpfter. Hier trifft man auf zwei Kentauren, von denen der männliche tot von der Decke hängt, während die Stute zu schlafen scheint. Unweit davon lässt ein Pferdeschinken an die Schlachten und Schlachthöfe unserer Tage denken. Nicht unbedingt peinlich, aber verstörend.

Hyperrealistische Pferdedame im dänischen Pavillon
Hyperrealistische Pferdedame im dänischen Pavillon © Hirtenfelder


Ein paar Meter weiter haben sich Polizisten vor dem Regen unter das Vordach des nordischen Pavillons geflüchtet, um das von fallweisen Demonstrationen heimgesuchte russische Pendant zu bewachen. Dieses steht heuer leer, weil die ursprünglich ausgewählten Künstler ihre eigene Ausstellung boykottierten. „Wenn sich Bürger der Ukraine in Schutzräumen verstecken und Demonstranten in Russland zum Schweigen gebracht werden, kann ich meine Arbeit nicht im russischen Pavillon präsentieren“, erklärte die 39-jährige Alexandra Sukhareva auf Instagram.
Auch die deutsche Konzeptkünstlerin Maria Eichhorn hat sich mutig verweigert. Anstatt den Pavillon ihres Landes mit Leben zu erfüllen, ließ sie Teile des Innenputzes abschlagen und den Boden öffnen, um die baulichen Veränderungen des Jahres 1938 sichtbar zu machen – ein etwas spröder Versuch von archäologischer NS-Bewältigung.

Unzeitgemäßer Nationalismus

Russland und Deutschland machen auf unterschiedliche Weise deutlich, dass die rund 80 Länderpavillons längst nicht mehr zeitgemäß sind, auch wenn die Ukraine, die mit China und anderen großen Nationen im Arsenal untergebracht ist, nur zu gerne eine eigene Repräsentanz in den Giardini hätte, als Zeichen ihrer Souveränität.

Doch es geht auch anders: Während die Schweiz große Spanholzfiguren einer gebürtigen Marokkanerin mit französischen Wurzen präsentiert, haben die Niederländer ihren Pavillon gleich zur Gänze Estland überlassen – ein seltenes Beispiel für nationalen Altruismus.
Einige Länder stellten ihre indigene Bevölkerung ins Rampenlicht. So begegnet man im skandinavischen Pavillon der samischen Kultur oder bei den Neuseeländern den kolonialen Südseefantasien eines Paul Gauguin. Polen hat mit Malgorzata Mirga-Tas erstmals eine Roma-Künstlerin nach Venedig entsandt. Sie zeigt riesige Textilbilder nach dem Vorbild von italienischen Renaissancefresken.

Beachtung verdienen auch der US-Pavillon mit seinen monumentalen Plastiken von Simone Leigh und jener der Briten, wo Sonia Boyce die Kraft des Gesangs von fünf schwarzen Sängerinnen feiert. Den sympathischsten Auftritt liefert Belgien mit einer filmischen Collage von weltweiten Kinderspielen, während Korea mit kinetischen Skulpturen von Yunchul Kim technisch brilliert.

Größeren Schauwert hat jedoch Cecilia Alemanis Hauptausstellung, sodass sich langes Anstellen vor den Pavillons (bis zu einer Stunde) nur für jene lohnt, die mehrere Tage in der Lagunenstadt verweilen. Am meisten Geduld benötigt man vor dem französischen Kunsttempel, wo mittels Kino und Live-Tango der algerischstämmigen Filmemacherin Zineb Sedira gehuldigt wird, und vor jenem der Griechen, wo man dank VR-Brille einer modernen „Ödipus“-Version folgen kann.

"Zeitkapsel" mit Kogelnik und Jürgenssen

„Die Milch der Träume“, die Alemani aus dem zeitgenössischen Kunstschaffen herausdestillierte, schmeckt dagegen süß und ist voller fantastischer Geschöpfe. Auch drei Österreicherinnen haben dazu posthum beigetragen. In einer Art „Zeitkapsel“ trifft man auf surreale Körperbilder der Zeichnerin Birgit Jürgenssen, von Pop-Art-Größe Kiki Kogelnik und der kaum bekannten Wienerin Rosa Rosà alias Edith von Haynau, die einst nach Italien zog, um sich hier den Futuristen anzuschließen. Ihre Mischwesen sieht man bei der Biennale zum ersten Mal.

Kiki Kogelnik ist im Arsenal mit 13 Körperbilder aus den 1960ern präsent
Kiki Kogelnik ist im Arsenal mit 13 Körperbilder aus den 1960ern präsent © Hirtenfelder

Gleiches gilt für das Gros der mehr als 200 Künstlerinnen, weshalb man große Namen vorwiegend bei den rund 30 „Eventi Collaterali“ und den Dutzenden Trittbrett-Ausstellungen findet. Schließlich werden am Rande der Biennale auch gute Geschäfte gemacht. Während etwa Anselm Kiefer einen der Säle des Dogenpalasts bespielt, kann man Georg Baselitz im Palazzo Grimani und Marlene Dumas im Palazzo Grassi bestaunen. Der Salzburger Galerist Thaddaeus Ropac hat gleich mehrere Zugpferde mitgebracht, unter ihnen Joseph Beuys und Arnulf Rainer. Auf der Giudecca wird auch des kürzlich verstorbenen Hermann Nitsch gedacht, und im Palazzo Mora hängen sogar Fotos vom Klagenfurter Stadionwald.
Die am häufigsten fotografierten Objekte dürften jedoch ein hyperrealistisches Bikini-Mädchen von Carole A. Feuerman und ein malender Roboter sein. Man findet die beiden im Café vor den Giardini. Fast müßig zu erwähnen, dass es sich bei dem Androiden um eine Dame handelt. Sie hat bereits Bilder im Gesamtwert von Millionen verkauft und hört auf den schönen Namen Ai-Da.