Eines ist sicher: Er wird auch dieses Mal keine große Party schmeißen, und das hat nichts mit Corona zu tun, sondern mit ihm selbst: Seit gestern ist fix, dass der deutsche Maler Gerhard Richter auch heuer das Künstler-Ranking „Kunstkompass“ anführt – wie schon in den 16 Jahren davor. Dass er weiterhin als weltweit wichtigster Künstler gilt, wird der 88-Jährige auch dieses Mal geflissentlich ignorieren. Das Scheinwerferlicht ist seine Sache nicht, außer, es erleuchtet sein Atelier in Köln. Auch, wenn er, wie unlängst bekannt gegeben, nicht mehr malen will. Für großflächige Werke auf der Leiter zu balancieren, das hält er für zunehmend anstrengend.

Doch man muss Richter nicht persönlich nahekommen, um in seine Kunst und – noch mehr – in seinen Kosmos einzutauchen. Das Kunstforum Wien öffnet mit seiner aktuellen Ausstellung ein weites Feld, sinngemäß, liegt doch der Fokus auf den Landschaftsbildern des Tausendsassas, dessen letztes großes Werk nach eigener Aussage wohl die drei großen Kirchenfenster für das Kloster Tholey im Saarland sind.

Gerhard Richter
Gerhard Richter © imago/Martin Müller

Richter und die Landschaft also, das war nie nur eine Abbildung, ein Einfangen von Landschaft, ein Versuch der Konservierung. Ganz im Gegenteil, Richter hat sich zeit seines Lebens an der Landschaft als Sehnsuchtsort des Menschen abgearbeitet, bisweilen zwingt er den Betrachter in den dritten Blick. Heißt: Richter selbst malt seit Ende der 1960er-Jahre unter anderem vom Foto ab und überlagert es mit einer Unschärfe.

Ein Landschaftsbild wird so vielmehr zum Bilderrätsel: Es geht nicht so sehr darum, was man sieht, als darum, was man nicht sieht. Jahrzehnte später, in einer Zeit, die mit Millionen Pixel und gestochen scharfen Bildern um sich wirft, wirken diese Gemälde geradezu visionär. Schon 1972 hat er mit viel Weitblick das Idyll entlarvt, mit dem der Mensch die Landschaft und die Natur auflädt: „Ich misstraue nicht der Realität (...), sondern dem Bild von Realität, das uns unsere Sinne vermitteln.“ Angesichts der aktuellen Lage, in der die Flucht in die Natur fast schon Fetisch-Charakter annimmt, ist das ein höchst aktueller Befund.

Seestück“(See-See, 1970)
Seestück“(See-See, 1970) © Sammlung Gerhard Richter

Doch Richter ging über die Jahre weiter und weiter und erdachte sich eine Terra incognita um die andere, auch, um den Betrachter in die Irre zu führen. „Seestück“ (See-See, 1970): Wo ist oben, wo ist unten? Wo sich festhalten in dieser Landschaft ohne einzigen Anhaltspunkt? Oder „Sankt Gallen“ (1989): abstrakt, 6,8 Meter, die fabelhafte Verdichtung einer Stadt. Würde man das Bild entlangziehen, stünde man gar vor einem gigantischen Panorama? Oder ein übermaltes Bild eines venezianischen Idylls, eine Intervention, um das Trugbild in seine Schranken zu weisen?

"Wolke", 1976 (beschnitten)
"Wolke", 1976 (beschnitten) © photo robert bayer, bildpunkt AG, CH-4142

Bisweilen schwebt die Frage im Raum, ob die eine oder andere Landschaft nicht gar ein Abbild einer inneren Landkarte ist: Treibende Eisberge in monotoner Landschaft, melancholisch bis ins Mark, oder eine idyllische Wolkenformation, die traumwandlerische Leichtigkeit ausstrahlt? Gerhard Richter, er lässt viele Fragen offen, die Antworten darauf muss man sich selbst suchen. Klingt nach Arbeit, stimmt, aber selten ist das so ein Genuss.