Die Neue Galerie New York, ein Museum für deutsche und österreichische Kunst auf der Museumsmeile auf der Upper East Side, zeigt ab Donnerstag die neue Ausstellung, die sich bis 24. Juni etwa 75 Selbstporträts von mehr als 30 Künstlern widmet, und zwar von der Zeit Egon Schieles bis Max Beckmann, von 1900 bis 1945. "Das Selbstbildnis explodiert in diesen vier Jahrzehnten", so Natter.

Fast drei Jahre lang hat der österreichische Kunsthistoriker an der Schau gearbeitet. Es ist seine dritte Ausstellung für die Neue Galerie und interessanterweise standen immer Porträts (von Oskar Kokoschka und Gustav Klimt) im Fokus. Nun hat sich der 57-Jährige dem Höhepunkt der Selbstporträtmalerei gewidmet. Herausgekommen ist eine wunderbare, eklektische Kunstschau, die den Versuch unternimmt, die Seelen einiger Künstler und Künstlerinnen freizulegen.

Egon Schiele schuf eine beispiellose Anzahl roher Selbstporträts. In der Neuen Galerie hängen einige seiner Zeichnungen aus dem Jahr 1910, "als Schiele zu Schiele wird". "Er kann am Vormittag der Dandy sein, mit Anzug und Krawatte, und lieb schauen, und am Nachmittag wird er sich in einer erotischen, grenzüberschreitenden Weise darstellen", erzählt Natter: "Er ist das eine und er ist das andere; das macht ihn so unerhört modern und so spannend für unsere Gegenwart."

Lange Zeit war das Selbstbildnis auf der Suche nach dem einen, innersten Kern, "die innerste Wahrheit der Seele", aber Schiele, so Natter, änderte das Konzept, weil er sagte: "Ich möchte alles ausprobieren; ich möchte wissen, aus welchen rätselhaften Substanzen ich bestehe."

An der Wand neben den wunderbaren Aquarellen aus Schieles expressivster Zeit hängen Selbstbildnisse von Rembrandt, dem wichtigsten Vertreter des goldenen, holländischen Jahrhunderts. Es gibt sogar einen Stich des Altmeisters aus dem Jahr 1630, bekannt als "Selbstbildnis lachend", was damals revolutionär war, weil es - man möge sich das einmal vorstellen - gegen die Konvention verstieß, auf einem Porträt zu lachen.

Die Arten des Selbstporträts variieren stark in der Schau. Für manche ist das Porträt die Beschäftigung mit sich selbst und dem eigenen Image. Es gibt ein doppeltes Selbstbildnis von Oskar Kokoschka - ein Hauptwerk aus der sogenannten Dresdner Zeit. Der in Auschwitz ermordete Felix Nussbaum nutzte den realistischeren Stil der Neuen Sachlichkeit und spiegelte das Elend und die Bedrohung seines Lebens als verfolgter Jude wider. Andere malten sich vor der Staffelei, bei der Arbeit, wie zum Beispiel Rudolf Wacker, der wichtigste Vertreter der neuen Sachlichkeit in Österreich.

Einige der herausragendsten Arbeiten stammen von Frauen, darunter ein revolutionäres Selbstbildnis von Paula Modersohn-Becker zu ihrem sechsten Hochzeitstag (1906). Es ist eines der ersten bekannten nackten Selbstporträts einer Frau. Auf der Wand vis-a-vis starrt die deutsche Malerin Käthe Kollwitz einen weltmüde an. Ein kraftvolles Bild rund um 1910. Sie blickt sich selbst im Spiegel an, aber - und das gilt für alle Selbstbildnisse - "natürlich stehen wir heute dort wo der Spiegel einst war und sind konfrontiert damit", betont der Kunsthistoriker.

Ein Künstler, der sich im Kontext der Metropolis malte, war der deutsche Expressionist Ludwig Meidner. "Ich und die Stadt" (1913) ist der Titel seines Bildes. Er ist fast in Gefahr aus dem Bild zu rutschen, hinter ihm springt die Stadt aus seinem Kopf. "Das ist eine Ästhetik, die wir vom Selfie oft kennen", so Natter, "und faszinierend ist natürlich: Das ist 100 Jahre vor dem Selfie."

Aber die Besucher sollen den großen Unterschied zwischen einem Selfie und den Selbstbildnissen verstehen. "Im Selfie wollen wir gut ausschauen und alle daran teilhaben lassen, wie cool wir sind", erklärt der Experte. "Was wir hier zeigen, ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich." Das kann man als Kritik am Selfie verstehen - ist aber nicht so gemeint.

Das krönende Ende bildet ein Künstler, der unmittelbar Opfer von politischer Verfolgung war. Max Beckmann, der sechs Jahre vor Schiele geboren wurde, erforschte in seiner Arbeit die "Individualität der Seele". Selbstporträts waren seine "Weltbühne". "Diese Art von Selbstbildnis", die man in der Schau sehen kann, "ist etwas Germanisches", sagt Natter zum Schluss. "Offensichtlich gibt es hier etwas Bekenntnishaftes, vielleicht auch ein tief in der Romantik verwurzeltes Suchen nach der Seele." Und was noch dazu kommt, und das ist ein Ergebnis dieser Ausstellung, "es soll deutlich machen, dass es nach 1945 lange vorbei war mit dem Selbstbildnis." Warum? "Weil die abstrakte Kunst kam."

(S E R V I C E - )