Roland Rainer (1910 - 2004) gehört nicht zuletzt wegen der ab 1953 errichteten Wiener Stadthalle zu den wichtigsten Architekten Österreichs. Weniger bekannt sind allerdings seine Karriereanfänge in der Nazi-Zeit - nicht zuletzt deshalb, da Rainer diese Phase in seiner Lebenserzählung bewusst ausgespart hat. Das Architekturzentrum Wien (Az W) bemüht sich in einer kleinen Ausstellung nun um einen Lückenschluss.

"Roland Rainer. (Un)Umstritten", nennt sich die im Galerie-Raum untergebrachte Schau, die von 20. Oktober bis zum 10. Dezember besucht werden kann. Anschauliche Architekturmodelle sucht man hier ebenso vergebens wie spektakuläre Fotografien von Bauwerken. Stattdessen gibt es viel Text und Publikationsauszüge. Denn die Kuratorinnen Ingrid Holzschuh, Monika Platzer und Waltraud Indrist haben vielmehr Archivrecherche - vor allem in Deutschland - betrieben und präsentieren nun die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung.

Seit den 1990er-Jahren sei immer wieder über Rainers Konnex zur NS-Zeit debattiert worden, "meistens aber sehr kurz und ausschnitthaft, denn es gab wenig Belegmaterial", sagte Az W-Chefin Angelika Fitz in einer Pressekonferenz am Freitag. Jedenfalls tauchte der Roland-Rainer-Platz auch in jener Liste von historisch belasteten Straßennamen auf, die unter der Leitung des Historikers Oliver Rathkolb vor einigen Jahren im Auftrag der Stadt erstellt wurde.

Mit der 2015 erfolgten Übernahme des Nachlasses startete das Az W schließlich ein Forschungsprojekt, um einen differenzierten Blick auf Rainers Tätigkeit im Nationalsozialismus zu bekommen. Wie viel der 1910 in Klagenfurt geborene und 2004 in Wien verstorbene Stararchitekt aus seiner Biografie selbst getilgt hat, zeigt sich gleich zu Beginn der Ausstellung. Ein Großteil der dort angeführten Lebens- und Werkdaten ist in Rot gehalten - ein Hinweis darauf, dass sie von Rainer selbst nie erwähnt wurden.

Belegt ist etwa, dass Rainer jedenfalls schon 1936 Mitglied der NSDAP war. In diesem Jahr ging er als 26-Jähriger nach Berlin, um dort an der Deutschen Akademie für Städtebau, Reichs- und Landesplanung zu arbeiten. In Deutschland war er zudem in der Abteilung "Technische Planung Ost" tätig. "Dabei ging es um die Planungen für Städte- und Kulturbauten für die besetzten Gebiete im Osten und die geplanten Besiedelungen nach dem Krieg", meinte Indrist.

Nicht bekannt war außerdem, dass Rainer in dieser Zeit jede Menge Publikationen veröffentlichte - darunter auch eine erste Fassung seiner bekannten Schrift "Die gegliederte und aufgelockerte Stadt", die 1957 in einer überarbeiteten Form verlegt wurde und breite Aufmerksamkeit erfuhr. In der Ausstellung kann man anhand eines ausgewählten Kapitels erste und zweite Version direkt vergleichen und so Streichungen, Neutralisierungen oder Ergänzungen nachvollziehen.

Welche Konzepte, die sich Rainer in der Nazi-Zeit angeeignet hat, wirken in seinem späteren Schaffen also nach? Platzer nennt Rainers Fokus auf das Einfamilienhaus als Beispiel. Diese Wohnform sei von den Nazis bevölkerungspolitisch als wünschenswert, weil als geburtenfördernd angesehen gewesen. Nach dem Krieg sei das Eigenheim politisch anders instrumentalisiert worden: "Die Alliierten interpretierten es als Stärkung des Individualismus und gegen die kollektivistischen Wohnformen - etwa des Roten Wiens", so die Kuratorin.

Dass während des NS-Regimes entstandene Netzwerke aus Architekten, Auftraggebern und Institutionen oft auch nach dem Krieg bestehen blieben, zeigt eine Art Quellen-Landkarte. Rainers Durchbruch gelang schließlich mit dem Auftrag für die Stadthalle. 1958 wurde er vom Gemeinderat zum Stadtplaner ernannt. Diese Tätigkeit legte er allerdings 1963 nach Unstimmigkeiten zurück. Mit diesem Jahr endet auch der Betrachtungszeitraum der Ausstellung.

War Rainer nun ein überzeugter Nazi? Ein Mitläufer? Ein Karrierist? Eine Antwort darauf gibt die Ausstellung nicht. "Wir haben kein Psychogramm erstellt", erklärte Fitz. Vielmehr sei es darum gegangen, einmal alle Fakten zusammenzutragen und zugänglich zu machen. Diese Grundlagen könnten jetzt weiter beforscht werden, formulierte die Az W-Direktorin eine Einladung an die Wissenschaftscommunity. Zum Auftakt am 20. Oktober veranstaltet die Einrichtung im Museumsquartier zudem ein ganztägiges Symposium zum Thema.