Der Begriff „Erweiterte Skulptur“ ist in der Kunstgeschichte nicht neu. Erwin Wurm, Österreichs erfolgreichster lebender Künstler, denkt "seit Jahrzehnten“ darüber nach, „wo die Grenze der Skulpturalität liegt". Im Kunsthaus Graz, in der ersten größeren Wurm-Schau seit 2002 in der Mur-Metropole, verschiebt der Steirer die Grenze nun in den Bereich des Unsichtbaren und (im Sinne haptischer Wahrnehmung) Unbegreifbaren.

„Wortskulpturen“ nennt der Mann, der heuer gemeinsam mit Brigitte Kowanz den österreichischen Pavillon auf der Biennale von Venedig bespielen wird, neue Arbeiten. Eine Wortskulptur gibt der Schau den Titel: „Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach“. Die Skulptur wird von Akteuren auf Podesten dem Publikum beschrieben und ist einigermaßen vorstellbar. Bei „Zweifel liegt auf Hoffnung, Hoffnung atmet aus“ wird die innere Visualisierung schon schwieriger.

Kurator Günther Holler-Schuster und Künstler Erwin Wurm
Kurator Günther Holler-Schuster und Künstler Erwin Wurm © Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Es sind Arbeiten, welche mit dem Imaginationspotenzial von Poesie arbeiten, Wurm selbst nennt Haikus als Anregung. Jene japanischen Dreizeiler, die meist sehr gewöhnliche, ja banale Motive in eine Form bringen, welche Alltag als Übung der Sinnesschärfung verkörpert. Also: Wortskulpturen.

Kunst mit dem „normalen“ Leben zu verknüpfen, ist seit Langem Methode in Wurms Schaffen. Dinge des Alltags –vom Einfamilienhaus bis zum Essiggurkerl – nimmt der Künstler ernst wie Hervorbringungen von Künstlerkollegen.

© Universalmuseum Joanneum/N. Lackne

Es sei also absolut nicht despektierlich, auf das Knie einer "Liegenden Figur“ (1953) von Fritz Wotruba eine „Extrawurstsemmel mit Essiggurke" (täglich zwei Mal frisch!) zu platzieren. Oder die Verwandlung einer „Figur“ (1953) von Josef Pillhofer in eine vier Meter hohe „Kletterskulptur“ vorzuschlagen. Oder ein Kartonmultiple (1971) Robert Rauschenbergs an Wurms Großbronze „Der Gurk“ zu schnallen. In London wurde es dem Künstler verwehrt, eine Skulptur von Henry Moore mit einem Pullover zu bekleiden. Wurm: "In Graz ist man viel offener."

© Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Handfestes, Berührbares bietet Erwin Wurm in der kompakten Parallelausstellung "Land der Berge" im Artelier Contemporary. Eine neue Serie von aus Ton gekneteten, in Bronze gegossenen Formen. Assoziationen sind viele möglich, der Künstler nennt drei: "Berge, Brüste, Hundstrümmerl."

Ergänzungen zum Thema sind Markus Huemers Schwarz-Weiß-Kleinformate, die der Linzer Künstler und Professor für Neue Medien an der Prager Kunstakademie am Computer errechnet. Ähnlichkeiten mit real existierenden Formationen (etwa mit dem Matterhorn) sind rein zufälliger Natur.

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