Die Inszenierung in der Pfeilerhalle der Albertina ist geschickt gewählt: Alles strebt dem hintersten Winkel im Souterrain zu, wo mächtig die „Usagi Kannon“ steht. Eine riesige Bronzeskulptur, halb Tier halb Madonna mit durchlöchertem Schutzmantel vor einer monumentalen Videowand, die sie in eisigen Farben von hinten beleuchtet. Leiko Ikemura hat sie im Schock der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 erdacht, begonnen und erst 2024 in Berlin fertiggestellt, erläutert der bibliophil gestaltete Katalog.

Bilder des Tages Leiko Ikemura bei der Pressekonferenz im Dialog mit Donata_und_Wim Wenders. Die japanische Künstlerin zeigt Ausschnitte ihres Schaffens, das Ehepaar Wenders ergänzt die Schau mit fotografischen und filmischen Arbeiten. Eröffnung der Ausstellung in der Stiftung Brandenburger Tor ist am 11.04.2018. Berlin 10.04.2018 Leiko Ikemura Ausstellung in Berlin *** Leiko Ikemura at the press conference in dialogue with Donata and Wim Wenders The Japanese artist shows excerpts of her work The couple Wenders complements the show with photographic and cinematographic works Opening of the exhibition at the Brandenburg Gate is on 11 04 2018 Berlin 10 04 2018 Leiko Ikemura exhibition in Berlin

Aus dem Kopf der Skulptur ragen stolz die Hasenohren. Usagi, das japanische Wort für „Hase“, mythologisch aufgeladen und noch heute ein beliebter Vorname für Mädchen. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass ihn auch die populärste Manga-Superheldin „Sailor Moon“ trägt. Das weinende Gesicht, die ans Herz greifenden Pfoten/Hände, diese Mensch-Tier-Mädchen-Gottheit vereint nicht nur west- und östliche Bildsprache und Tradition, sie führt die Betrachter subtil auf eine neue Stufe universaler Trauer und Betroffenheit.

Das Motiv findet sich in der Ausstellung noch einige Male in anderer Form. Als freche gelbe Terracotta-Häsin mit ausgeprägten weiblichen Geschlechtsmerkmalen, oder in verwischter Kohle auf Papier. Je öfter man durch diese Schau schlendert, desto mehr fallen die Zusammenhänge auf. Quasi als Vorstufe zu den Häsinnen die „Girls“, wie Ikemura sie nennt, Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, oft geradezu verschmolzen mit Katzen als tierischen Begleiterinnen. Dazwischen eine Wand mit ziemlich verstörenden Miniaturen: In groben Kohlestrichen und grellen Pastellfarben wirft die Künstlerin verzerrte Mädchenfiguren auf’s Papier, teilweise grausam sexualisiert und in wildem Kontrast zu den Kindchenschema-Formen.  

Empfangen wird die Besucherin der Ausstellung „Motherscape“ (eine Wortschöpfung aus Mutter und Landschaft) von einem anderen wichtigen Aspekt in Ikemuras Schaffen: der Beziehung des Menschen mit der Natur. In ebenso großformatigen wie zarten Tempera-Malereien auf grober Jute begegnen einem hier menschliche Wesen, die aus oder in der Natur wachsen – so friedlich, so organisch. Sie ruhen am Seeufer oder an Bäumen, stets mit geschlossenen Augen. Davor und dazwischen komplettieren, wie aus den Bildern geschält, meist in patinierter Bronze gestaltete liegende Bronzeköpfe dieses Bild der Ruhe. Die Künstlerin setzt dazu ein heikuartiges Gedicht: „Die Stille/ der Dämmerung/ in ihrem Licht/ verlieren die Konturen/ alle Berge, Bäume/ und fangen an/ nur zu existieren und/ verschwinden/ in den Kosmos.“ Es ist ein beeindruckender Kosmos der in Japan aufgewachsenen und in den 1970er Jahren nach Europa ausgewanderten, heute 74jährigen Künstlerin, die erstmals in einer großen Personale in Österreich präsentiert wird.