In der von Kieswegen durchzogenen Parkanlage sind „überall Fremde“ zu sehen, bunte Vögel, schwarz gekleidete Intellektuelle und viele Menschen beiderlei Geschlechts in Turnschuhen. Apropos Geschlecht: Diversität und Queerness war ja eines der Themen bei der Auswahl von Kunstschaffenden durch den brasilianischen Biennale-Kurator Adriano Pedrosa. Und das manifestiert sich nicht nur in den teils schrillen Besuchern aus der Community, sondern auch in den Ausstellungspavillons. Und noch ein Schwerpunkt drückt der 60. Biennale in Venedig seinen Stempel auf: der Globale Süden und bisher wenig bekannte Kunst indigener Völker. Nicht alles ist sehenswert, doch es gibt viel zu entdecken.

Jeder Rundgang beginnt beim (üblicherweise weißen) Zentralpavillon, der heuer von einem Künstlerkollektiv aus dem Amazonasgebiet farbenprächtig bemalt wurde. Ebenso bunt gestaltete der Native-American-Künstler Jeffrey Gibson den sehenswerten US-Pavillon, während im französischen Pavillon mit Juliet Creuzet eine Künstlerin aus Martinique eine neonfarbene Unterwasserlandschaft erschafft: Fischernetze und Korallen treffen darin auf Meeresmüll. Netze finden sich auch beim eindrucksvollen brasilianischen Beitrag – hier tummeln sich allerdings nicht Fische, sondern Gewehrpatronen im Netz.

Gleich gegenüber der französischen Ausstellung macht schon die lange Warteschlange an Interessierten neugierig: Der Haupteingang zum deutschen Pavillon ist mit Erde zugeschüttet, betritt man ihn von der Seite her, erwarten die Besucher eine dröhnende Klangkulisse, Düsternis und eine Performance, mit der Regisseur Ersan Mondtag das Schicksal seines türkischen Großvaters als Gastarbeiter in Ostdeutschland thematisiert, sowie die israelische Künstlerin Yael Bartana, die eine Art Science-Fiction-Video zeigt. Apropos Israel: Der streng bewachte israelische Pavillon ist ja geschlossen. Die Künstlerin Ruth Patir hat sich selbst aus dem Rennen genommen, so lange, bis ein Waffenstillstand und die Befreiung der Geiseln erreicht sein werden. Auch wenn gelegentlich propalästinensische Demonstranten ihre Parolen skandieren und Russland seinen Pavillon dem befreundeten Bolivien überlassen hat, spielt die Weltpolitik keine Hauptrolle bei dieser Biennale.

Mit der Poesie und Klarheit des von Anna Jermolaewa gestalteten österreichischen Pavillons kann kaum jemand mithalten: „Putin muss weg“, betont die russische Dissidentin. Über die Folgen des Krieges zeigt ein ukrainisches Projekt einen Film im polnischen Pavillon und im Arsenale befasst sich eine Installation mit dem Thema Netzwerken. Außerhalb des Biennale-Geländes ist die Ukraine in gleich drei Geschoßen des Palazzo Contarini Polignac neben der Accademia-Brücke präsent, und auch darüber hinaus bietet Venedig derzeit ein Kunstpanorama, das sich sehen lassen kann. Ein paar Anregungen: Das Peggy-Guggenheim-Museum zeigt eine Schau zu Jean Cocteau, die Fondazione Prada den Schweizer Aktionskünstler Christoph Büchel, die Galleria Accademia Willem de Kooning. Im Negozio Olivetti am Markusplatz sind Glasskulpturen von Tony Cragg zu sehen, im Benediktinerstift San Giorgio zeigt die belgische Künstlerin Berlinde de Bruyckere ebenfalls große Skulpturen, hier aus Wachs, Fell und Eisen. Und, und, und. Gut, dass die Besucherin sich bei den Streifzügen durch die Lagunenstadt zwischendurch mit Cicchetti und einer Ombra stärken kann. Denn es wartet ja noch die Rückfahrt zum Quartier im Bus Nummer 2.
Biennale Venedig, bis 24. November, www.labiennale.org.