SAINT OMER
Bewertung: ****

Es ist der Versuch, das Unfassbare zu ergründen: In ihrem preisgekrönten Spielfilmdebüt erzählt die französische Dokumentaristin Alice Diop von einer Frau, die sich wegen Kindestötung vor Gericht verantworten muss. "Saint Omer" basiert auf einer realen Story. Eine 36-jährige Studentin aus dem Senegal, legte 2013 ihr 15 Monate altes, schlafendes Kind am Strand ab, es ertrank. Im Film heißt die Medea-Figur Laurence Coly (furios: Guslagie Malanda). Beobachtet wird sie von der ebenso schwarzen Autorin Rama (Kayije Kagame), die zum Medea-Mythos recherchiert. Diop protokolliert den Prozess nüchtern. Blicke sprechen Bände, wenn Worte fehlen. Kluge Reflexion über Mutterschaft, Migration und Postkolonialismus. (js)

DIE EICHE - MEIN ZUHAUSE
Bewertung: ***

Schlichter Dokumentarfilm des preisgekrönten französischen Regie-Duos Laurent Charbonnier und Michel Seydoux über eine 210 Jahre alte Stieleiche. Über vier Jahreszeiten hinweg verfolgt das Publikum das Treiben von Buntspecht, Feldmaus oder Eichelbohrern. Durch geschickte Nahaufnahmen und Animationen, die bis zu den Wurzeln des Baumes vordringen, wird man selbst zum Eindringling in die Eiche. Die Doku kommt ohne Begleitkommentar aus und lässt einen hie und da auch rätselnd zurück, ob die Bilder echt oder animiert sind. Mitten im Rauschen der Blätter droht man mitunter in eine Art Winterschlaf zu verfallen, aus dem man aber spätestens im Frühling mit Glenn Millers Song "In the Mood" wieder erwacht. (jk)

ZUSAMMENLEBEN
Bewertung: ***

Österreich für Anfängerinnen und Anfänger: Thomas Fürhapter erklärt das rot-weiß-rote Gemüt. Besser gesagt, er lässt es erklären. Migrantische Neuankömmlinge der Startcoachings der Stadt Wien stehen im Fokus der vielstimmigen Doku: Nebst Rechtberatung und Kulturvermittlung erzählen Vortragende und Teilnehmer von Bussis zur Begrüßung, der Vieldeutig des Worts "eh", dem Wiener Grant, oder dem Einfluss Freuds auf die verworrenen Gedanken der Bewohner. Bunter Mix aus Erkenntnissen, Klischees und Wahrheiten. (js)

AKROPOLIS BONJOUR - MONSIEUR THIERRY MACHT URLAUB
Bewertung: ***

Seit Thierry Hamelin (Jacques Gamblin) in Pension ist, versinkt er im Strudel der Erinnerungen. Er denkt an die Zeit, als die Kinder Antoine (Pablo Pauly) und Karine (Agnès Hurstel) klein waren, und die Ehe mit Claire (Pascale Arbillot) noch nicht auf der Kippe stand. Um eine bevorstehende Scheidung abzuwenden, will er mit der Familie den Griechenlandurlaub von 1998 bis auf den kleinsten Programmpunkt genau rekreieren. Aber vor Ort muss Thierry feststellen, dass man die Vergangenheit nicht wieder heraufbeschwören, sondern sich nur der Gegenwart stellen kann. François Uzan, Showrunner der Netflixserie "Lupin", legt hier eine unterhaltsame, aber beizeiten doch melancholische Komödie vor. Die Dialoge machen Spaß, die Figuren sind sympathisch, Klischees und satirische Überzeichnungen existieren zwar zuhauf, ruinieren aber nicht das Endergebnis. Im Vergleich zum österreichischen Beitrag eindeutig der bessere Griechenlandurlaub diesen März. (sg)

SCREAM VI
Bewertung: ***

Selbst nach fünf Filmen hat es sich für das "Scream"-Franchise noch nicht ausgekillt. In Teil sechs wird das gewohnte Kleinstadt-Setting gegen New York City eingetauscht, wo ein neuer "Ghostface"-Mörder umherzieht. Auch der Big Apple scheint nicht sicher vor den Metzeleien des Maskenkillers, der schonungsloser denn je zuvor seine Hetzjagd veranstaltet. Während man zuletzt noch auf Nostalgie setzte, liegt jetzt der Fokus auf dem neuen Figurenkollektiv: Dem ewigen Final Girl Sydney Prescott wird eine wohlverdiente Auszeit gegönnt. Stattdessen muss in diesem Katz-und-Maus-Spiel eine andere Überlebende (Melissa Barrera) als lebendige Zielscheibe herhalten. Der neue Schauplatz bietet der Reihe frische Möglichkeiten, sich kreativ auszutoben. Mit gewohnt pfiffigem Meta-Witz macht man sich Gedanken über gängige Horror-Klischees, toxische Fangemeinden und dem Fluch der Fortsetzung. Vor letzterem bleibt dieser abwechslungsreiche Slasher-Spaß erfreulicherweise gefeit. (pog)