Es ist ein Kreislauf der Ausbeutung. Ein Teufelskreis. Nüchtern skizziert die österreichische Filmemacherin Sudabeh Mortezai in ihrem Spielfilm „Joy“ eine Parallelwelt mitten in Wien: Nigerianische Frauen, die illegal hierherkommen, werden an Zuhälterinnen, sogenannte Madames, verkauft. Sie machen ihre Körper zu Geld, um ihre Schulden abzubezahlen. Viele der Madames waren zunächst selbst Prostituierte, bevor sie zu Täterinnen werden, die ein autoritäres Regime führen. „Man sieht es nicht, aber es ist da“, sagt Mortezai. Es ist ein perfides System, in dem Frauen andere Frauen ausbeuten.


„Ich wollte keinen Film über Frauen aus Nigeria aus der Perspektive einer weißen NGO-Mitarbeiterin oder eines Freiers machen, sondern die Perspektive dieser Frau einnehmen“, sagt die Regisseurin. Die Männer, also die Freier, Vergewaltiger, Bodyguards, Schlepper, sie bleiben Nebenfiguren in diesem höchst realistischen und dichten Sozialdrama. „Aus Sicht der Frauen verkörpern die Freier zweierlei: Entweder sind sie Quelle von Geld oder Quelle von Schmerzen.“


Mortezais titelgebende Protagonistin heißt „Joy“, also Freude, was angesichts ihrer Geschichte höhnisch klingt. Joy (Joy Anwulika Alphonsus) prostituiert sich auf dem Straßenstrich, um sich von ihrer Madame freizukaufen und sich und ihrer Tochter eine Zukunft zu sichern. Es scheint, als winke ihr selbst der Aufstieg in die Liga der Madames, bis sie beauftragt wird, sich um Precious (Precious Mariam Sanusi) zu kümmern. Diese verweigert Sexarbeit zunächst, wird aber mit Gewalt gebrochen. Die Frauen leben in einer WG, sie halten sich zwar manchmal den Rücken frei, die Abhängigkeit entsolidarisiert aber mehr, als sie solidarisiert.
„Prostitution in Europa ist Realität. Die allermeisten Frauen sind durch Menschenhandel nach Europa gekommen“, berichtet Mortezai. Sie führt ihre Zuschauer nicht behutsam an den Stoff heran, sondern wirft sie zum Einstieg mitten hinein in die sogenannte Juju-Zeremonie bei einem Priester auf dem Lehmboden in Nigeria. Bei diesem Voodoo-Ritual leisten die Frauen einen Schwur, der ein mögliches Aufgebehren oder einen Ausstieg später verhindern soll. „Ich wollte, dass man das am eigenen Leib fühlt“, sagt die Regisseurin, und zwar ohne „intellektuelles Zurücktreten“.

Penible Recherchen

Dem zweiten Spielfilm der Regisseurin gingen schon wie bei ihrem preisgekrönten Debüt „Macondo“ aus dem Jahr 2014 intensive Recherchen voraus. Die 51-Jährige reiste dafür auch nach Benin City, aus der 2,6-Millionen-Stadt und der Region stammen die meisten der Frauen. Sie besuchte einen Juju-Priester und redete mit Familien, deren Töchter in Europa sind. In Wien recherchierte sie bei Ämtern, NGOs, der Polizei und in der nigerianischen Community. Am allerwichtigsten, das wusste Mortezai bald, war es ihr, mit betroffenen Frauen zu reden, ihre Geschichten zu hören. „Das war schwierig. Es hat sehr lange gedauert, bis ich überhaupt die erste Frau aufgetrieben habe – und die wollte zunächst auch nicht.


Mortezai arbeitete semidokumentarisch, die Darstellerinnen sind Laien aus der Community und die Dialoge sind größtenteils improvisiert. Gedreht wurde auch in Nigeria, wohin viele Frauen wieder abgeschoben werden, worauf der Kreislauf oft von vorne wieder beginnt. „Die Geschichte ist fiktional. Aber letztlich ist im Film die protypische Trafficking-Geschichte aus Nigeria festgehalten.“ Das macht ihn auch so beklemmend. Was würde helfen? „Eine Gesetzgebung, die Frauen besser schützt.“ Wenn sie aussagen, kommen sie in ein Opferschutzprogramm. Aber: „Sie haben nur ein vorläufiges Bleiberecht, während sie aussagen.“ Asylanträge werden meist abgelehnt, die Frauen abgeschoben. Viele kommen wieder.