Staffelübergabe der französischen Superstars bei den Wiener Festwochen: Nach Gisele Viennes superbem "L’Etang/Der Teich" mit Adele Haenel zeigt seit Donnerstag Tiago Rodrigues, designierter Direktor des Festivals d‘Avignon, Tschechows "Der Kirschgarten" mit Isabelle Huppert als Gutsbesitzerin Ranjewskaja. Sollte sich da jemand ein reines Starvehikel für die Ausnahmeschauspielerin erwartet haben, war die Überraschung wohl keine geringe. Zwar brilliert Huppert, bei den Festwochen zuletzt 2019 als formidable "Maria Stuart" zu Gast, in der Rolle des hoch verschuldeten Familienoberhaupts, das sich entscheiden muss, den geliebten, aber unrentabel gewordenen Kirschgarten zu verpachten oder einer Zwangsversteigerung zu überlassen.

In dem internationalen Ensemble, das sich auf der Bühne in der Halle E des Museumsquartiers unter glitzernden Luster-Bäumen zur Familienaufstellung versammelt, stellt Rodrigues aber den von Adama Diop mit hinreißender Energie verkörperten Emporkömmling Lopachin in den Vordergrund. Der Abkömmling einstiger Leibeigener, genau der Familie, die er nun in Geldfragen berät, wird am Ende selbst den Kirschgarten ersteigern und diesen Triumph entschlossen auskosten.

Damit ist diese Inszenierung natürlich auch vor allem die Abrechnung mit einer überprivilegierten Gesellschaft, die sich so sehr daran gewöhnt hat, dass sich jede Krise quasi naturgemäß zu ihren Gunsten entscheidet, dass sie, völlig handlungsunfähig, wie in einem luxuriös ausgestatteten Wartesaal, mit Liverockmusik in hysterischer Lethargie der Katastrophe entgegenblickt. Dass Rodrigues bei all dem auf die üblicherweise mit dem ganz dicken Pinsel durchgeführte, melancholische Grundierung des Werks verzichtet, ist ein weiterer willkommener Überraschungseffekt der Inszenierung: Tschechow erlebt man hier fast als Humoristen. Famos.

Der Kirschgarten. Museumsquartier Wien, Halle E. Im französischen Original mit Übertiteln. Vorstellungen: 27., 28., 29. Mai, 19.30 Uhr. www.festwochen.at