Jeder Opernfreund, jede Opernfreundin kennt „I Pagliacci“, wenige noch seine „La Bohème“, aber Ruggero Leoncavallos „Zazà“ dürfte nur hartgesottenen Fans der veristischen Oper bekannt sein. Jener Stilrichtung aus Italien um 1900, die das „echte Leben“ auf die Bühne bringen wollte und dabei meist nur reißerische Milieustudien fabrizierte.

Das in der halbseidenen Welt des Varietés spielende Werk (uraufgeführt 1900 in Mailand) war einer der erfolglosen Versuche Leoncavallos, an seinen frühen spektakulären Erfolg anzuknüpfen. Später wurde „Zazà“ nur dann hervorgekramt, wenn sich eine Operndiva ins rechte Licht rücken wollte. Da liegt der Fall im Theater an der Wien dann aber doch deutlich anders.

Der deutsche Regisseur Christof Loy ist der richtige Mann, den szenischen und musikalischen Lieb- und Süßlichkeiten von „Zazà“ Herr zu werden. Die operettennahen Klänge und die rührselige Handlung profitieren von einem Regisseur, der das Melodram gleichsam ausnüchtert. Weder überfrachtet er dieses Genrestück intellektuell, noch leuchtet er bloß die opulente Buntheit des äußeren Rahmens aus. Loys psychologische Tiefenbohrung entdeckt unter der dicken Decke aus Sentimentalität und Spekulation ein menschliches Seelendrama. Die an der Heuchelei des bürgerlichen Dufresne zerbrechende Varietékünstlerin „Zazà“, ihre Begegnungen mit der Ehefrau des Geliebten und deren Tochter – alldem verleiht Loy dramatische Glaubwürdigkeit.

Auf der Loy-typischen, weißen, spartanisch ausgestatteten Bühne (von Raimund Orfeo Voigt) lenkt nichts vom tragischen Frauenschicksal ab. Svetlana Aksenova singt diese Zazà nicht als kapriziöse Diva, sondern als um aufs Recht auf ihre Gefühle kämpfende Frau. Die erst etwas verhalten wirkende Aksenova führt ihren dunklen, slawisch klingenden Sopran im letzten Bild zu höchster Ausdrucksintensität. Leider kann ihr Tenorpartner Nikolai Schukoff als charakterloser Feigling Dufresne nicht mithalten – zu undifferenziert setzt der in Graz geborene Sänger seinen hellen, etwas spröden Tenor ein. Das Mezzavoce liegt ihm nicht. Auch kein Meister des Pianos, aber dafür darstellerisch und vokal imposant ist Christopher Maltman als Bühnen- und ehemaliger Bettpartner Zazàs. Sein machtvoll-sinnlicher Bariton dominiert die Szene. Enkelejda Shkosa gibt der Mutterfigur Profil, eine herzlose, unfreiwillig komische Person, die in Loys Inszenierung eher wie eine Erscheinung aus dem veristischen Kino eines Vittorio de Sica oder Roberto Rossellini anmutet.

Am Pult des Radio-Symphonieorchesters des ORF steht der Routinier Stefan Soltész, ein umsichtiger Sachwalter Leoncavallos, der die Musik niemals überdreht. Und die kurzen Einlagen des Schoenberg Chors hinterlassen Eindruck.

Es bleibt ein Stück Operngeschichte, das wohl nie wirklich im Repertoire Fuß fassen wird, aber das Theater an der Wien führt den nachdrücklichen Beweis, dass es nicht immer „I Pagliacci“ sein muss. Und dass man im verwinkelten alten Haus am Naschmarkt das Coronavirus in Griff zu haben gedenkt, zeigt man mit der Leitung von Publikumsströmen und Maskenpflicht auch während der pausenlosen (!) zweistündigen Aufführung. Dazu kam von Intendant Roland Geyer vorab die gute Botschaft: Während der sechswöchigen Probenarbeit an mehreren Produktionen hat es im Haus keinen einzigen Coronafall gegeben.

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