Dramatisierungen von Literatur sollen für alle Zeiten verflucht sein“, schreibt Michail Bulgakow 1933 in einem Brief. Da hatte der missliebige Autor bereits Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ dramatisiert und Gogols „Tote Seelen“. Warum also nicht auch seinen gewaltigen Roman bearbeiten?

Ene-Liis Semper und Tiit Ojasoo, die für Regie, Bühne, Kostüme und Video verantwortliche zeichnen, gingen die Sache radikal an: Stalin ist an diesem Abend weit, Moskau auch. Ihr Stück spielt in einem modernen Allerweltsbüro, das alle Szenen gleichermaßen verdeutlichen muss. Die Bühne ist horizontal zweigeteilt, die obere Hälfte offen bis zur Betonrückwand des Theaters, wenn nicht gerade die Videoleinwand die Sicht verhängt. Was sich in den Gängen des Büros, dahinter oder auch außerhalb des Theaters tut, registriert die Videokamera von Mariano Margarit und Lenhard Fuchs.

In diesem Ambiente spielt Woland, der Teufel, die Menschen gegeneinander aus, führt ihnen ihre eigene Niedertracht, Gier und Geilheit vor Augen. Norman Hacker ist Woland, als hätte er sein Leben lang auf diese Rolle gewartet: lässig, sarkastisch, brutal und sogar milde, wenn nötig. Er platzt in ein Büro voll gut gekleideter junger Leute, die einander wortgewaltig versichern, dass Gott so wenig existieren könne wie der Teufel. Der blutverschmierte, dornengekrönte Jeschua wischt indessen den Boden auf. Da tritt der Teufel in den Raum und die Gewissheiten schmelzen dahin.

Der Abend zerfällt in zwei ungleich gelungene Teile. Zwei Stunden lang treiben Semper und Ojasoo Bulgakows verschachtelte Handlung immer tiefer ins Existenzielle. Nach der Pause verlieren sie sich in Slapstick, lassen den artistischen Tim Werths als Schmerzensmann das Mobiliar umturnen, wenn er nicht gerade erstaunt die Büromannschaft beim Absingen frommer Lieder beobachtet. Wenig mehr als Nacktheit in grellem Stroboskoplicht fiel dem Videoteam zur Walpurgisnacht nicht ein. Die Leidensgeschichte des psychiatrierten Dichters erschließt sich ohne stalinistischen Hintergrund kaum.

Ein Fest der Schauspieler ist der Abend allemal. Das Teufelspersonal, Stefanie Dvorak als selbstvergessene Verführerin, sanft sekundiert vom feingliedrigen Kater Behemoth Felix Kammerer trifft auf Rainer Galkes mächtigen Meister, seine Geliebte Margarita in Gestalt der berührenden Ungarin Annamária Láng. Philipp Hauß muss zugleich Verleger Berlioz und Pontius Pilatus sein, ein Spagat. Und dennoch: An die Größe der Vorlage kommt die Adaption nicht heran.