Sie haben mit „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ schon vor fünf Jahren am Münchener Residenztheater Premiere gehabt. Wie verändert sich in dieser Zeit eine solche Produktion mit ihren SchauspielerInnen?
BIBIANA BEGLAU: Jede Vorstellung ist anders. Das ist der Reiz und das Besondere von Live-Vorstellungen. Und mit der Zeit werden die Worte immer mehr zu eigenen. Sie werden selbstredender.

Und wie verändert sie sich im Zuge des nun erfolgten Imports von München nach Wien?
Es sind andere Bühnenräume und dadurch entstehen andere Dynamiken.

In der Ehehölle, die Edward Albee beschreibt, war Martha lange die Furie. Tritt man, wenn man sie heute spielt, zwangsläufig zur Ehrenrettung der Figur an?
Sie ist eine Liebesverletzte. Jeder Liebe begegne ich - in egal welcher Form sie sich äußert - mit Wohlwollen und Zuneigung. Es ist merkwürdig, wie viel Empathie wir für körperlich kranke Menschen empfinden können und wie gnadenlos wir mit denen umgehen, die sich am Geist und an der Seele verletzt haben. Die Stärke von Marthas Angriffen zeigt die Größe ihrer Verletzung.

Ist Beziehung ohne zumindest ein Stück der Hölle, die Albee beschreibt, überhaupt denkbar?
Das sind Wachstumsschmerzen. Jede Beziehung hat einen eigenen Kern, Samen, der dann die Pflanze, den Baum zum Wachsen bringt. Wenn sich Rinde großflächig vom Baum schält, passiert das mit Kraft - und wahrscheinlich Schmerzen. Welche Früchte er trägt, kommt auf den Standort und die Pflege an. Martha und Georg lieben sich - auf ihre eigene Art und Weise. Sie leben ihre Liebe als Insel in einer spießigen, bösartigen und feindlichen Gesellschaft.

In den USA soll „Virginia Woolf“ nach der Uraufführung in den 60ern eine Scheidungswelle ausgelöst haben. Wie gesellschaftsrelevant ist das Stück noch?
Wenn ich die Symptome erkennen kann, kann ich sie dementsprechend behandeln: Wird mir meine Geschichte durch die Geschichte eines anderen Menschen bewusster und erfahrbarer, kann ich daraus Konsequenzen für mein Leben ziehen. Scheidung ist so eine Konsequenz.

„If you do not tell the truth about yourself you cannot tell it about other people“, schrieb Virginia Woolf in „The Leaning Tower“. Lässt sich das auf schauspielerische Arbeit übertragen?
Ich frage mich immer, wenn jemand eine Wahrheit behauptet, wessen Wahrheit er oder sie da spricht. Das ist eine der Grundlagen, eine Figur wahrhaftig werden zu lassen.

Sie gelten als Schauspielerin, die sich nichts schenkt. Welche Rollen locken Sie?
Die Figuren, deren Wahrheit ich einen Raum geben kann in meinem und dem Bewusstsein der ZuschauerInnen.

Was muss eine Regisseurin, ein Regisseur Ihnen anbieten, damit Sie sofort zusagen?
Raum und Klarheit, Ehrlichkeit und den Mut, das Scheitern als Möglichkeit zu sehen.

Sie arbeiten seit Langem mit Martin Kusej zusammen. War es eine schwere Entscheidung, mit ihm nach Wien zu gehen?
Es gibt Menschen, die sind für einen gemeint. Die Begegnungen mit ihnen suche ich. Martin ist so ein Mensch. Ich bin froh, ihn gefunden zu haben. Wo wir uns begegnen, sind die Räume, die unsere Arbeit und unsere Begegnung zulassen.

Urbanes Selbstbewusstsein und kleinbürgerliche Verkniffenheit, das Erbe von Monarchismus und Katholizismus prägen angeblich sowohl München als auch Wien. Was ist Ihnen hier bisher am stärksten aufgefallen?
Wien ist viel offener und internationaler geworden. Die Menschen sind weiterhin stark daran interessiert, was in ihrer Stadt los ist. Die Nostalgie, die Wien stetig umgibt, ist moderner geworden. Das sage ich so unter dem ersten Eindruck.

Wie lange wollen Sie bleiben?
Solange ich Raum und Begegnung in Wien finden kann.