Vor dem Sommer bekannte Intendant Markus Hinterhäuser, die Produktion, von der er viele Proben und alle Aufführungen gesehen hatte, noch immer nicht zu "kennen", "in all ihrer Rätselhaftigkeit, in ihren kryptischen Andeutungen, in der suggestiven Kraft und Gewalt, die sie entfaltet". Diese Aussage konnte man am Sonntag von der ersten bis zur letzten Minute nachvollziehen. Der Abend ist vollgepackt mit Bilderrätseln, Parallelaktionen, subtilen Andeutungen und kräftigen Zeichen, von denen sich kaum eines von selbst entschlüsselt, aber jedes für sich bedenkenswert und tiefgründig wirkt.

Man versteht sofort: Es geht nicht um Gag, sondern um Aussage, nicht um Beiwerk, sondern um die Essenz. Dabei baut Castellucci, dessen heuer zu den Wiener Festwochen eingeladenen Installationen dagegen vergleichsweise simpel und naiv wirkten, sein faszinierendes Konzept rund um eine doppelte Verweigerung: Weder zeigt er den berühmten Schleiertanz, noch den Kopf des Jochanaan, den Salome als Lohn dafür fordert. Die Bilder, die er an ihre Stelle setzt, die zwischen zwei gewaltigen Steinblöcken zerquetscht (oder weggezaubert?) werdende fast nackte junge Frau sowie der nackte Torso des Propheten plus abgeschlagener Pferdekopf, sind von ungeheurer Kraft und gehen buchstäblich unter die Haut.

Doch diese "Salome" ist nicht nur eine Herausforderung für Augen und Ganglien, sondern auch ein Fest des Hörens und eine echte Herzklopfenoper, bei der die Musik einen mitnimmt durch alle Höhen und Tiefen der Existenz. Verantwortlich dafür sind die Wiener Philharmoniker unter Franz Welser-Möst, die den von Richard Strauss zur Genüge gesetzten Effekten vertrauen, ohne sie noch plakativer zu machen. Wucht statt Bombast lautet die Devise. Die ist auch nötig, um die Außerordentlichkeit von Grigorians Interpretation nicht zu konterkarieren. Die 38-Jährige zeigt noch einmal, warum sie seit ihrem Rollendebüt im Vorjahr in der Opern-Topliga gehandelt wird: Zart und zerbrechlich, gleichzeitig eigensinnig und unbarmherzig bringt sie ihre Figur facettenreich auf die Bühne und hält mit ihrem Sopran sowohl dem riesigen Raum als der Gewalt des Orchesters stand, ohne je forciert zu klingen.

Dass die Bühnenvorgänge trotz Verweigerung psychologischen Interagierens transparent werden, liegt auch an der stimmlichen Präsenz der übrigen, in den Hauptpartien unveränderten Besetzung, von Gabor Bretz als Jochanaan über John Daszak als Herodes bis zu Julian Pregardien als Narraboth. Diese zwei Stunden vollendeten Opernglücks sind heuer noch zweimal zu erleben. Und für 2020 hat "Die Welt" via "Hofstallgassenfunk" eine mögliche Fortsetzung, ja Ausweitung des Glücks in Aussicht gestellt. Im Jubiläums-Jahr sind angeblich - neben "Tosca", "Boris Godunow", "Intolleranza" und "Elektra" mit Franz Welser-Möst und Krzysztof Warlikowski - auch "Don Giovanni" in der Regie von Romeo Castellucci und unter der musikalischen Leitung von Teodor Currentzis geplant. Das könnte tatsächlich ein Jahrhundert-Ereignis werden.